Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Einfuhrzoll 522,33% – Vorbild USA?

Vor wenigen Tagen hat die US International Trade Commission zwei endgültige Entscheidungen in Antidumping-Verfahren gegen die Einfuhr von Flachstahlerzeugnissen getroffen. Danach wird die Einfuhr von Stahl aus China teilweise mit Zöllen von mehr als 500% belegt. Aber nicht nur China ist betroffen. Die US-Entscheidung ist das extremste Beispiel für den Protektionismus, der sich im internationalen Stahlhandel immer weiter ausbreitet. Die Folgen der Handelsbeschränkungen sind weitreichend und gehen über die Stahlindustrie hinaus. Irritierend ist, dass viele Stimmen aus der EU-Stahlindustrie das Vorgehen der USA als Vorbild bezeichnen. Die EU ist bisher noch relativ verantwortungsvoll mit ihren Anti-Dumping-Maßnahmen umgegangen. Sie sollte dem Ruf widerstehen, dem amerikanischen Vorbild zu folgen. Ein Ausgleich des durch tatsächliches Dumping entstandenen Schadens ist nötig, aber auch ausreichend.

 

Ein Anti-Dumping-Zoll von 265,79% plus ein Anti-Subventions-Zoll von 256,44% - auf insgesamt 522,23% summieren sich die Einfuhrzölle der USA gegen chinesische Lieferanten von kaltgewalzten Blechen. Alle japanischen Hersteller dieses Erzeugnisses werden mit Anti-Dumping-Zöllen von immerhin noch 71,5% belegt. Bei korrosionsbeständigen überzogenen Blechen wurde China mit kombinierten Zöllen in Höhe von bis zu 451% bedacht. Zölle gibt es bei diesem Verfahren daneben gegen Indien, Süd-Korea, Taiwan und Italien, wobei für das EU-Land immerhin Antidumping-Zölle von bis zu 92,12% und Anti-Subventions-Zölle von bis zu 38,51% bestätigt wurden.

Was ist eigentlich Dumping?

Bei der Bewertung der Zollhöhe ist ein genauerer Blick auf die Frage nötig, wie Dumping eigentlich definiert ist und wie die Zollsätze entstehen. Gerade wegen der inflationären Verwendung des Begriffes „Dumping“, lohnt sich eine Rückbesinnung auf die eigentliche Bedeutung. Die Welthandels-Organisation (WTO) erklärt auf ihrer Homepage: Wenn ein Unternehmen ein Produkt zu einem Preis exportiert, der unter dem normalen Preis auf dem eigenen Heimatmarkt liegt, dann bezeichnet man dies als Dumping. Die WTO-Vereinbarungen erlauben den von Dumping betroffenen Staaten unter bestimmten Bedingungen Gegenmaßnahmen. Es muss Dumping nachgewiesen, das Ausmaß des Dumpings bestimmt und ein (drohender) materieller Schaden der eigenen Industrie belegt werden. Um festzustellen, ob Dumping vorliegt, nennt das GATT-Abkommen drei Methoden. Die wichtigste ist der Vergleich des Exportpreises mit dem Preis auf dem Heimatmarkt des Exporteurs. Wenn dies nicht möglich ist, stellen der Vergleich mit dem in einem dritten Land berechneten Preis des Exporteurs oder eine Kalkulation auf Basis der Herstellungskosten des Exporteurs Alternativen dar. Alle drei Methoden dienen der Bestimmung eines „Normalwertes“, auf dessen Basis die Dumpingspanne berechnet werden kann. Die detaillierten Regelungen zur Durchführung von Antidumping-Untersuchungen sind in den WTO-Bestimmungen festgelegt.

Die von den USA verhängten, teilweise prohibitiv hohen Zollsätze sind ziemlich weit vom eigentlichen Dumping-Tatbestand entfernt. Denn mit Sicherheit haben chinesische Preise beim Export in die USA weder ihre eigenen Inlandspreise noch die Preise der US-Werke um den Faktor 5,0 unterboten. Tatsächlich findet man in den bisher vorliegenden Informationen der US-Behörden kaum Erläuterungen dazu, wie es zu den Zollsätzen gekommen ist. Vielmehr wird die Nicht-Mitwirkung der betroffenen chinesischen Hersteller zum Anlass genommen, um die höchste der von der US-Werken in ihrer Beschwerde aufgeführten Dumping-Margen auch als Zollsatz zu übernehmen. „Adverse facts available“ heißt das verfahrenstechnische Zauberwort für dieses fragwürdige Vorgehen.

Die USA sind traditionell wenig zimperlich bei der Anwendung von Handelsschutzinstrumenten. Nachdem im Vorjahr die Gesetzgebung noch einmal verschärft worden ist, scheinen nun aber alle Dämme gebrochen. Vertreter der US-Stahlindustrie haben ihre Lobby-Kampagne zum Schutz der eigenen Industrie zu einem vollen Erfolg gemacht. Das Beispiel macht deutlich: wer nach „fairem Wettbewerb“ ruft, kann in Wirklichkeit die Abschottung des eigenen Marktes vor unliebsamem Wettbewerb meinen. Nicht die Worte, sondern die Taten sind entscheidend. Von der US-Untersuchung zu kaltgewalzten Blechen sind acht der zehn wichtigsten Lieferländer betroffen. Im relativ neuen Verfahren gegen die Einfuhr von Grobblechen werden neben China auch Belgien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Italien, Süd-Korea, Süd-Afrika, Taiwan und die Türkei ins Visier genommen.

In den vergangenen Wochen haben Vertreter der EU-Stahlindustrie verschiedentlich die Antidumping-Praxis der USA als Vorbild empfohlen. Die kürzere Dauer der Verfahren und vor allem die deutlich höheren Zollsätze werden als nachahmenswert hervorgehoben. Im Zusammenhang mit der Diskussion über den Marktwirtschafts-Status Chinas wird eine Verschärfung des EU-Instrumentariums ins Spiel gebracht. Die Frage ist, ob die bisherige EU-Praxis Mängel aufweist, die diese Forderungen rechtfertigen würden.

EU zeigt sich schon jetzt wehrhaft

Vergleicht man die Zahl der von Anti-Dumping-Maßnahmen betroffenen Stahlerzeugnisse, so steht die EU den USA kaum nach. Von vorläufigen oder endgültigen Einfuhrzöllen der EU betroffen sind hochdauerfester Betonstabstahl aus China, flachgewalzter Silicium-Elektrostahl aus Japan, China, den USA, Süd-Korea und Russland, kaltgewalzter nichtrostender Stahl aus China und Taiwan, kaltgewalzte Flacherzeugnisse aus China und Russland, Walzdraht aus China und Stahlerzeugnisse mit organischem Überzug aus China. Verfahren laufen noch gegen Betonstabstahl aus Weißrussland, Grobbleche aus China und warmgewalzte Flacherzeugnisse aus China. Damit sind mittlerweile beträchtliche Teile der EU-Stahleinfuhren betroffen. Die Verfahren sind zwar auf China konzentriert, beziehen aber teilweise weitere wichtige Lieferländer mit ein.

Insgesamt zeigt sich die EU also durchaus wehrhaft. Auch in den jeweiligen Verfahrensdetails werden schon jetzt Ermessensspielräume zugunsten der EU-Stahlindustrie reichlich genutzt. Deutliche Unterschiede gibt es aber dennoch bei der Höhe der von der EU verhängten Zölle, die sich im Falle Chinas zwischen 10 und 25% bewegen. Beispielsweise wirken die im Falle der kaltgewalzten Bleche ermittelten vorläufigen Zölle von ca. 15% gegen China und 26% gegen Russland im Vergleich zu den US-Zöllen ausgesprochen niedrig.

Da China keinen Marktwirtschaftsstatus hat, ermittelt die EU den „Normalwert“ nicht am chinesischen Markt, sondern anhand der Verkaufspreise in einem Vergleichsland. Dabei handelt es sich meist um hochpreisige Märkte in Nordamerika, was zu entsprechend hohen festgestellten „Dumping-Spannen“ führt. Daneben wird eine sogenannte „Schadensspanne“ ermittelt, also der Schaden, der EU-Herstellern durch die Preisunterbietung gedumpter Importe am eigenen Markt tatsächlich entstanden ist. Hierbei berücksichtigt die EU-Kommission auch einen „angemessenen“ Gewinn der EU-Hersteller, der durch die Zölle wiederhergestellt werden soll. Die von der EU angewandte „de-minimis“-Regel besagt, dass die niedrigere der beiden Spannen bei der Zollermittlung zugrunde gelegt wird.  Auch wenn dieses Verfahren im Detail hinterfragt werden kann, so orientiert es sich im Kern doch am Grundgedanken des internationalen Anti-Dumping-Rechts, das auf Basis von belegbaren Fakten einen fairen Ausgleich des durch Dumping entstandenen Schadens vorsieht.

USA stehen alleine da

Der einseitige Blick auf die US-Zollsätze verdeckt die Tatsache, dass die von den chinesischen Exporten ungleich stärker betroffenen asiatischen Zielländer bisher vergleichsweise zurückhaltend bei der Anwendung von Anti-Dumpingzöllen sind. Wenn bisher überhaupt Zölle verhängt wurden, dann eher auf oder unter dem europäischen Niveau. So belegt Malaysia die Einfuhr von kaltgewalzten Blechen aus China mit Zöllen zwischen 5,6% und 23,7%. Mit der Festlegung von Mindest-Einfuhrpreisen für alle Warmbreitband-Einfuhren hat lediglich Indien eine relativ harte Maßnahme ausgesprochen. Dagegen ist das stark von chinesischen Einfuhren betroffene Süd-Korea bisher kaum aktiv geworden. Weltweit hat zwar die Zahl der handelsbeschränkenden Maßnahmen erheblich zugenommen. Alleine im Jahr 2015 wurden nach WTO-Angaben 41 neue Antidumping-Untersuchungen gegen Stahleinfuhren eingeleitet. Mit der Aggressivität ihres Vorgehens und der Höhe der Zölle stehen die USA aber weitgehend alleine da.

Und dies nicht ohne Grund. Zum einen sind Anti-Dumping-Zölle kein Wunschkonzert und ausdrücklich nicht zur Ausschaltung des Wettbewerbs gedacht, sondern bei der Zollermittlung müssen die WTO -Regeln eingehalten werden. Sowohl die EU als auch die USA haben in jüngster Zeit vor der WTO Niederlagen in von China angestrengten Verfahren erlitten, weil Verfahren nicht entsprechend der Vorgaben durchgeführt wurden.   

Zölle treffen die Anwenderindustrien

Außerdem hat jeder Zoll weitreichende wirtschaftliche Folgen weit über die Stahlindustrie hinaus. Die Vielzahl von Zöllen und handelsbeschränkenden Maßnahmen führt zu einer Re-Regionalisierung des Stahlhandels, zur Umlenkung von Handelsströmen und zu Verzerrung von internationalen Preisrelationen. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für die ihrerseits im internationalen Wettbewerb stehenden Anwenderindustrien. Wenn Stahl in China 300,- $/t billiger ist als in den USA, so mag das für die US-Stahlindustrie gut sein. Für Stahlverarbeiter, bei denen Vormaterial den größten Kostenblock darstellt und die ihrerseits nicht selbst durch Zölle geschützt sind, bedeutet es den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Es dauert nicht lange, bis statt Stahl das verarbeitete Stahlerzeugnis importiert wird. Dann müssen entweder auch hier Zölle verhängt werden und die Spirale dreht sich immer weiter. Oder die heimische Anwenderindustrie nimmt schweren Schaden. Auch Investitionsentscheidungen von global agierenden Stahlverarbeitern werden nicht unabhängig von den Kosten für das wichtigste Vormaterial getroffen, zumal die technologischen Unterschiede in den verschiedenen Regionen der Welt kleiner geworden sind.

Schließlich bleiben Handelsmaßnahmen nur selten von der Gegenpartei unbeantwortet. Wie die EU-Kommission in einem jüngst erschienenen Bericht darstellt, war die EU im Jahr 2015 auf der Exportseite von 151 Handelsschutzmaßnahmen betroffen, wobei die Zahl seit 2010 einen klaren Aufwärtstrend zeigt. Im Jahr 2015 wurden von Drittländern 37 neue Schutzmaßnahmeuntersuchungen gegen die EU eingeleitet. Davon bezogen sich 19 auf Stahlerzeugnisse. Dies sollte gerade einem exportorientierten Wirtschaftsraum wie der EU und der auf den Weltmärkten erfolgreichen deutschen Industrie zu denken geben.

Die EU ist bisher noch relativ verantwortungsvoll mit ihren Anti-Dumping-Maßnahmen umgegangen. Sie sollte dem Ruf widerstehen, dem amerikanischen Vorbild zu folgen. Ein Ausgleich des durch tatsächliches Dumping entstandenen Schadens ist nötig, aber auch ausreichend. Höhere Zollsätze und eine übermäßige Ausweitung der betroffenen Länder sind nicht zu rechtfertigen und wären nicht im übergeordneten Interesse der EU. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang der offenbar jüngst von Eurofer gestellte Antrag, das schon eröffnete Verfahren bei warrmgewalzten Flacherzeugnissen auf Russland, Brasilien, die Türkei, Iran, die Ukraine und evtl. Serbien auszuweiten und damit fast alle Lieferländer dieses wichtigen Erzeugnisses zu erfassen.

 

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