Zur Abwehr von Handelsumlenkungen sind im Jahr 2018 die „Schutzmaßnahmen“ der EU gegen Stahlimporte als vorübergehende Maßnahme eingeführt worden.  Sieben Jahre später regelt die neueste Überarbeitung genau, welches Land bei welchem Erzeugnis welche Menge ohne Zusatzzoll liefern darf. Es geht um knallharten Wettbewerbsschutz, im Visier stehen attraktive Anbieter aus Asien. Leidtragende sind Importeure und Verbraucher in der EU. Denn die EU öffnet die Tür für höhere Preise.

Außerplanmäßige Überprüfung steht auf dünnem EIs
Nachdem die „Schutzmaßnahmen“ (Safeguards) im Juli 2024 im Rahmen der turnusmäßigen jährlichen Überprüfung bereits angepasst worden waren, leitete die EU-Kommission im Dezember 2024 eine außerplanmäßige Überprüfung ein. Dahinter stand ein Antrag verschiedener Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland. Über mehr als drei Monate war für betroffene Importeure in der EU nicht klar, welche Regeln ab dem 01. April 2025 gelten würden. Begleitet wurde dies durch Forderungen aus der Stahlindustrie, die bisherigen Zollfrei-Kontingente drastisch zu verringern und den bei Überschreitung der Kontingente anfallenden Zollsatz von 25% anzuheben. Erst am 25. März wurden die Ergebnisse der Untersuchung im EU-Amtsblatt veröffentlicht und die beschlossenen Änderungen traten unmittelbar in Kraft. Schon alleine dieses Vorgehen, mit dem Importe über Monate extremer Unsicherheit ausgesetzt wurden, ist sehr fragwürdig und hat im ersten Quartal den Preisanstieg am EU-Flachstahlmarkt maßgeblich unterstützt.  

Inhaltlich steht die außerplanmäßige Anpassung auf dünnem Eis. Die EU argumentiert, dass sich die wirtschaftliche Lage der Stahlhersteller der EU erheblich verschlechtert habe.  Schaut man sich die dazu vorgelegten Zahlen an, stellt man schnell fest, dass sich viele Indikatoren nach dem für Stahlerzeuger sehr guten Jahr 2021 in der Tat verschlechtert haben. Allerdings ist auf der Importseite keine so gravierende Änderung erkennbar, dass sich daraus die Notwendigkeit für eine außerplanmäßige Änderung der Importregeln ableiten ließe. Die EU-Importe sind 2024 um 7% gestiegen, blieben aber noch um 11% unter dem Niveau von 2021. Bei Flachprodukten lagen die Marktanteile der Importe 2024 bei 25,6% nach 23,5% im Jahr 2023 und 24,8% im Jahr 2021. Bei Langprodukten liegt der Marktanteil der Importe nur halb so hoch: 12,8% im Jahr 2024 nach 12,4% im Jahr2023 und ebenso 12,8% im Jahr 2021.

Grundprobleme des EU-Stahlmarktes sind eine schwache Nachfrage, erhebliche – und teilweise durch die EU selbst verursachte - Kostennachteile im internationalen Vergleich und ein schrittweiser Verlust von Qualitätsvorteilen. Diese Entwicklung ist seit Jahren sichtbar. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass die immer weiter gehende Begrenzung und Steuerung von Importen als schneller Blitzableiter zur Ablenkung von den eigentlichen Fehlentwicklungen dient. Um es klar zu sagen: Nicht jeder preisgünstige Import ist „Dumping“, „Billigstahl“ oder „dreckig“. Stahl zu international wettbewerbsfähigen Preisen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine verarbeitende Industrie, die selbst in einem beinharten internationalen Wettbewerb steht.   

Technische“ Änderungen mit großer Wirkung
Obwohl also eine dramatische Importwelle anders aussieht, hat sich die EU für eine spürbare Verschärfung der Importregeln entschieden. Die seit April geltenden neuen Anpassungen bestehen aus einer Vielzahl von produktspezifischen Einzelmaßnahmen, die auf den ersten Blick schwer zu bewerten sind. Bei vielen Produkten liegt die schärfste Änderung darin, dass in der Kategorie der „Sonstigen Länder“ neue Höchstgrenzen für die zollfreien Mengen einzelner Länder eingeführt werden. Dies klingt technisch, hat aber weitreichende Auswirkungen. Im Jahr 2018 hatten die damals wichtigsten Lieferländer eigene Zollfrei-Kontingente bekommen, während alle übrigen Länder der Kategorie „Sonstige“ zugeordnet waren und auf dieses Kontingent unbegrenzten Zugriff hatten. Durch die Marktänderungen nicht zuletzt in Folge der EU-Sanktionen gegen Russland hat sich die Herkunft der Importe in den vergangenen Jahren stark in Richtung Asien verlagert. Das hat dazu geführt, dass im Vorjahr bei vielen Erzeugnissen die wichtigsten Herkunftsländer unter „Sonstige“ fielen. Anstatt die geänderten Marktbedingungen anzuerkennen, argumentiert die EU-Kommission mit dem „Schutz traditioneller Lieferströme“ und will den Status von vor zehn Jahren zementieren. Dies ist Planwirtschaft pur und hat nichts mit einem offenen Markt zu tun. Eine Begrenzung der zollfreien Höchstmengen für einzelne Länder wurde erstmals 2024 bei Walzdraht und Warmband eingeführt, wo die Kappungsgrenze jetzt nochmals gesenkt wurden. Nun sind weitere Erzeugnisse dazu gekommen. Der für ein Land zulässige Anteil an der Zollfrei-Kategorie für „Sonstige“ liegt zwischen 13% für warmgewalzte und kaltgewalzte Bleche und 30% bei Großrohren. Insgesamt sind 15 Produktkategorien davon betroffen.

Durch diese Regel kommt es, dass zum Beispiel Japan, Vietnam oder Taiwan im 2. Quartal 2025 nicht mehr als genau 111.380,069 Tonnen warmgewalzte Bleche und Bänder ohne Safeguard-Zoll liefern dürfen. Im Jahr 2023 lieferten alle drei Länder jeweils noch bei mehr als 1 Mio. Tonnen in die EU. Bei kaltgewalzten und verzinkten Blechen sind preisattraktive Anbieter aus Vietnam, Taiwan, Japan und der Türkei massiv betroffen. Bei Quartoblechen darf Süd-Korea im 2. Quartal noch 110.038,016 Tonnen zollfrei liefern, die Jahresmenge sinkt um fast 50% gegenüber den Einfuhren des Vorjahres. 

Auch die Übertragbarkeit von nicht ausgeschöpften Kontingenten auf Folgequartale wurde bei vielen Erzeugnissen eingeschränkt. Dies beschneidet die Flexibilität der Importeure erheblich und erhöht das Risiko, von einem Zoll getroffen zu werden.

Massiv wird sich auswirken, dass bei einigen Erzeugnissen die Zollfrei-Kontingente um die früheren russischen Lieferungen reduziert werden. Nach Einführung der EU-Sanktionen wurden die erheblichen Zollfrei-Kontingente für Russland auf andere Länder verteilt. Dies wird nun teilweise rückgängig gemacht. Die lapidare Begründung der EU lautet, es liege „nicht mehr im Interesse der Union“, diese Mengen in den Kategorien zur Verfügung zu haben. Dies führt bei Warmband und Walzdraht zu einer Reduzierung der gesamten Zollfreimengen um mehr als 13%, bei Quartoblechen immerhin um knapp 7%.

Maßnahmen wirken für sich genommen preiserhöhend
Die neuen „Schutzmaßnahmen“ machen Importe nicht nur insgesamt weniger berechenbar, sondern sie vermindern auch deutlich den Preis- und Mengenwettbewerb in der EU. Am stärksten betroffen ist zweifellos das wichtigste Importprodukt Warmbreitband, wo zusätzlich neue Anti-Dumping-Zölle gegen Japan, Vietnam und Ägypten verhängt wurden. Hier werden die Importmengen absehbar weiter sinken.

Bei den übrigen Erzeugnissen ist die Mengenwirkung noch nicht klar auszumachen. Denn auch Wechselkurseffekte und die zuletzt wieder gestiegenen Preisdifferenzen zum asiatischen Markt spielen eine Rolle. Klar ist aber, dass besonders attraktive asiatische Lieferländer von den Änderungen hart getroffen werden. 

Die Folgen für die Versorgung insgesamt hängen stark davon ab, wie sich die EU-Erzeugung entwickelt. Die am Jahresanfang überraschend niedrigen Produktionszahlen und die angekündigten Wartungsarbeiten in mindestens einem großen EU-Werk mahnen die Verbraucher zur Achtsamkeit.

Auch der Preistrend der kommenden Monate ist schwer vorherzusehen. Obwohl der Markt zunächst gelassen reagierte und sich Vertreter der Stahlindustrie eher enttäuscht über die Maßnahmen äußerten, dürfen deren Auswirkungen jedenfalls nicht unterschätzt werden. Für sich genommen befördern sie zweifellos einen Trend zu höheren Preisen. Dies gilt wegen der viel höheren Marktanteile der Importe für Flachprodukte mehr als für Langprodukte. Die schwache Endnachfrage und niedrigere Rohstoffkosten wirken aber in die andere Richtung. Es ist schwer einzuschätzen, welche der gegenläufigen Einflüsse die Oberhand gewinnen wird. Über allem schwebt der eskalierende internationale Zollkonflikt, dessen Auswirkungen die stahlspezifischen Faktoren überlagern könnten.

Klar ist, dass sich die EU-Kommission bei der Gestaltung der Importregeln eindeutig an die Seite der Stahlindustrie stellt und die Interessen der Verbraucher kaum berücksichtigt. Der EU-Stahlmarkt ist nicht mehr offen und wird es auch für längere Zeit nicht mehr sein. Protektionismus mag im Trend der Zeit liegen. Gut für die Verbraucher ist er nicht. Und niemand geht beim Handelsschutz so detailversessen wie die EU vor. Ihre Ankündigung, nun an einer Nachfolgeregelung für die eigentlich 2026 auslaufenden Schutzmaßnahmen zu arbeiten, spricht Bände. In Verbindung mit der Einführung des CO2-Grenzausgleichssystems CBAM ändern sich die Spielregeln für Importe grundlegend. Auch EU-Stahlverarbeiter, die selbst kein Drittlandmaterial einsetzen, werden dies spüren.

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.