Nachdem die Sommerpause vorbei ist, müssen Stahleinkäufer feststellen, dass sich Hoffnungen auf eine Preisabschwächung nicht erfüllt haben. Im Gegenteil: Unüblicherweise wurden inmitten der Ferienzeit bei vielen Erzeugnissen höhere Preise angekündigt und teilweise auch umgesetzt. Damit liegen am Spotmarkt die Notierungen bei fast allen Stahlerzeugnissen höher als vor einem Jahr und haben gegenüber dem im Frühjahr erreichten bisherigen Höchststand des Jahres 2018 kaum nachgegeben. Für diese Entwicklung gibt es vier Gründe, die zum Jahresbeginn so nicht absehbar waren. Die Chancen für eine Trendwende noch in diesem Jahr sind eher gering. Das Gefühl, dass viel „Heiße Luft“ im Stahlmarkt ist, bleibt aber trotzdem.
Im an dieser Stelle im Dezember 2017 vorgestellten Ausblick auf 2018 war das wahrscheinlichste Szenario, dass es im Jahresverlauf – ausgehend von China – zu niedrigeren Stahlpreisen kommen würde. Dass dies nicht eingetreten ist, liegt an den folgenden Faktoren, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht deutlich erkennbar waren:
- Stahlverarbeiter sind die Verlierer der Protektionismus-Welle
Dass es so massiv kommen würde, war nicht absehbar: Mit den Einfuhrzöllen der USA und der bereits im März eingeleiteten Schutzmaßnahmenuntersuchung der EU haben Protektionismus und Politisierung des Stahlmarktes einen neuen Höhepunkt erreicht. Klarer Verlierer sind die Stahlverarbeiter. Die US-Stahlpreise sind explodiert, der Preisabstand zum Rest der Welt hat ein historisches Hoch erreicht. In der EU sind die Wirkungen bisher weniger dramatisch. Trotzdem wirken die Schutzmaßnahmenuntersuchung und die im Juli beschlossenen vorläufigen Maßnahmen zweifellos preisstützend und sind ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige Faktor für weiterhin teuren Stahl. Die „Schutzmaßnahmen“ schützen zunächst einmal Marktanteile und Renditen der europäischen Stahlhersteller, die in diesem Jahr noch weiter steigen. - Chinesischer Stahlmarkt hält die Stellung
Der chinesische Stahlmarkt zeigt sich im bisherigeren Jahresverlauf sehr robust. Immer mal wieder erkennbare Schwächephasen blieben von kurzer Dauer. Die Kapazitätsbereinigungen des Vorjahres scheinen länger nachzuwirken als gedacht. Die Preise für die Referenzprodukte Warmbreitband und Betonstahl liegen am Inlandsmarkt sogar noch etwas höher als zu Beginn des Jahres. Die Exportnotierungen haben sich kaum verändert. Chinesische Stahlhersteller präferieren wegen der erzielbaren hohen Gewinne den Inlandsmarkt, so dass die Exportmengen das dritte Jahr in Folge klar unter dem Vorjahr liegen. Seit Wochen wird der Markt von Spekulationen über aus Umweltgründen verordnete Produktionskürzungen und über einen möglichen Anschub der Stahlnachfrage durch neue staatliche Konjunkturpakete getrieben. Es gibt nach wie vor gute Gründe dafür, an der Nachhaltigkeit der Situation zu zweifeln. Wie sich der chinesische Stahlmarkt in den nächsten Monaten entwickeln wird, ist äußerst schwer vorherzusehen. - Rohstoffe fester als erwartet
Angesichts der Tatsache, dass sich die Stahlpreise weltweit ungewöhnlich weit von den Rohstoffkosten entfernt haben, sind die Rohstoffpreise aktuell kein besonders guter Indikator für die Entwicklung der Stahlpreise. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Preise für Eisenerz und Kokskohle derzeit zwar erwartungsgemäß niedriger als am Jahresanfang sind. Beide halten sich aber, gestützt durch die Nachfrage aus China und verschiedene angebotsseitige Faktoren, am oberen Rand des für das Jahr 2018 prognostizierten Korridors. Dies gilt vor allem für Kokskohle. Die Schrottpreise notieren bereits seit vielen Monaten stabil auf hohem Niveau. Ob sich daran infolge der Situation in der Türkei etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. - Kaum Preisdruck von der Importseite
Abgesehen von einer kurzen Phase im Frühjahr gehen von der Importseite kaum preissenkende Signale aus. Fairerweise ist zu konstatieren, dass hierfür nicht in erster Linie die Schutzmaßnahmen der EU verantwortlich sind, die eher auf Mengen und Stimmung wirken. Vielmehr sorgt die maßgeblich durch China geprägte Weltmarkt-Konstellation insgesamt für eine relativ schwache internationale Wettbewerbsintensität. Im Vergleich zum Rückgang der chinesischen Exportmengen haben die US-Zölle bisher die Importe des Landes nur wenig reduziert und das Preisniveau im Rest der Welt nur wenig beeinflusst. Aus EU-Perspektive verstärkt wird dies durch die seit dem Frühjahr spürbare Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar. Nach der Sommerpause aufkeimende Hoffnungen auf stärkere Preisrücknahmen türkischer Exporteure haben sich bisher nur bedingt erfüllt. Schwächetendenzen sind aktuell vor allem am internationalen Halbzeugmarkt zu beobachten.
Zusammen führen diese Faktoren dazu, dass die Aussichten auf eine Trendwende noch in diesem Jahr eher gering sind. Was bleibt, ist dennoch das diffuse Gefühl, dass Rekord-Überkapazitäten auf Dauer schlecht zu Rekord-Renditen in der Stahlindustrie passen. Daher wird sich der Wind wieder drehen. Die Antwort auf die Frage nach dem „Wann“ muss bis auf Weiteres vertagt werden.