Die größte Veränderung am deutschen Stahlmarkt hat sich in den vergangenen Wochen auf der Importseite abgespielt. Der von sinkenden Importpreisen ausgeübte Druck auf die Preise der EU-Hersteller ist bei fast allen Stahlerzeugnissen gewachsen. Es schlagen sich die im Vergleich zum Frühjahr gesunkenen Rohstoffkosten, die anhaltende Schwäche des Weltmarktes und Wechselkursbewegungen nieder. Während die Abwertung des chinesischen Yuan vielfach diskutiert wird, ist für die Lage am EU-Stahlmarkt die Stabilisierung des Euros von größerer Bedeutung.
Bei Flachstahl sind die Preise für Importe aus Drittländern alleine in den vergangenen vier Wochen um ca. 20,- €/t gefallen. Damit ist der Preisabstand zu den EU-Herstellern auf ein Maß gestiegen, bei dem der Bezug von Drittlandsimporten in vielen Fällen attraktiv ist. Denn die damit oft verbundenen Nachteile wie lange Lieferzeiten und Unsicherheiten bezüglich der gelieferten Qualitäten wird durch einen großen Preisvorteil ausgeglichen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Auswahl des Stahllieferanten nicht durch Kunden- und Qualitätsvorgaben beschränkt ist.
Auf einen wichtigen Grund für die gesunkenen Importpreise hatte ich bereits in meinem letzten Blog-Beitrag (siehe hier) hingewiesen: Die Rohstoffkosten der Hochofenroute haben im Juli ihr Jahrestief erreicht und sich seitdem nicht viel bewegt.
Ein weiterer Grund für sinkende Importangebote ist die Stabilisierung des Euro-Wechselkurses zum US-Dollar. Zwischen April 2014 und April 2015 hat die fortlaufende Abwertung des Euro aus EU-Sicht zu einem erheblichen Teil die auf Dollarbasis sinkenden Importpreise abgefedert. Danach hat sich das Bild geändert. Alleine der stärkere Euro hat Importe aus dem Dollar-Raum zwischen April und August 2015 um 16,- €/t verbilligt (siehe Grafik), selbst wenn man unterstellt, dass sich die Dollarpreise in diesem Zeitraum nicht verändert hätten. In Wirklichkeit haben niedrigere Rohstoffkosten und der intensive Wettbewerb am globalen Stahlmarkt dazu geführt, dass die Dollarpreise für Stahlerzeugnisse gesunken sind, so dass die Verbilligung aus Sicht des EU-Importeurs noch stärker war. Der vom Weltmarkt ausgehende Preisdruck ist zuletzt nicht mehr gedämpft, sondern verschärft worden.
Die Entwicklung des Euro-Kurses dürfte am EU-Stahlmarkt eine deutlich stärkere direkte Wirkung haben als die in vielen Analysen im Vordergrund stehende Abwertung des chinesischen Yuan gegenüber dem Dollar. Diese kann zwar zu einer weiteren Verbilligung der chinesischen Stahlexporte führen, was sich dann auf die Exportpreise anderer Länder übertragen könnte. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Stahlhersteller in China ihre Rohstoffeinfuhren in US-Dollar bezahlen. Hier führt die Abwertung zu einer Kostenerhöhung, so dass der Gesamteffekt abgewartet werden muss.
Gerade bei Flachstahl sind es nicht nur Angebote aus China, die das heimische Preisniveau herausfordern. Bemerkenswert ist, dass sich die Präsenz brasilianischer und koreanischer Hersteller am EU-Markt spürbar erhöht hat. Neben der teilweisen schwachen Verfassung der Heimatmärkte spielen dabei bei Flachstahl die von den USA eingeleiteten Antidumping-Maßnahmen eine Rolle, von denen beide Länder in erheblichem Maße betroffen sind. Offenbar suchen daher deren Hersteller neue Absatzmärkte auch in der EU. Aktuelle Angebote aus Brasilien und Süd-Korea markieren zwar bei den Drittlandsangeboten eher das obere Ende, sind aber immer noch attraktiv im Vergleich zu den EU-Preisen. Zudem gibt es hier nicht das Problem vieler chinesischer Angebote, bei denen die bestehenden chinesischen Exportregulierungen zur Zusetzung von Bor geführt haben und die daher bei manchen Verwendern auf Qualitätsbedenken stoßen.
Auf EU-Ebene lagen die Flachstahlimporte aus Drittländern im ersten Halbjahr um 17% höher als im Vorjahr, wobei sich der Zuwachs nicht gleichmäßig auf alle Erzeugnisse verteilt. Auch wenn Deutschland nicht im selben Umfang von diesen Zuwachs betroffen ist, sind steigende Importmengen bei sinkenden Preisen ein wichtiger Faktor dafür, dass die Stahlpreise auch hierzulande weiter unter Druck stehen dürften.