By Andreas Schneider on Freitag, 02. Oktober 2015
Category: 2015

Neue Negativ-Dynamik trifft EU-Stahlmarkt

Im dritten Quartal hat sich am deutschen Stahlmarkt eine neue Dynamik entwickelt. Diese hat dazu geführt, dass die Preise stärker als erwartet gesunken sind. Treibende Kräfte waren nicht in erster Linie die Rohstoffkosten und die Entwicklung von Angebot und Nachfrage auf den heimischen Märkten. Entscheidend ist derzeit die Lage am Weltmarkt. Diese ist von deutlich sinkenden Preisen und von neuen Gegebenheiten im internationalen Handel geprägt. Die Größe der Stahlindustrie in China, von deren Wachstum die Branche weltweit einige Jahre lang profitiert hat, wird für die Stahlhersteller im Rest der Welt immer mehr vom Segen zum Fluch. Wie sich diese Entwicklung in den einzelnen Regionen niederschlägt, hängt maßgeblich von den Wechselkursen ab, die zu einem bedeutenden Einflussfaktor sowohl für die Stahl- als auch für die Rohstoffpreise geworden sind. Aufgrund des festeren Euro wird der EU-Markt nun anders als im Vorjahr voll von den Weltmarktentwicklungen getroffen.

Die chinesischen Stahlexporte werden in diesem Jahr wahrscheinlich ca. 110 Mio. Tonnen erreichen. Dies entspricht der Produktionsmenge des weltweit zweitgrößten Erzeugers Japan. Dabei ist der Anteil der chinesischen Exporte an der gesamten Erzeugung mit ca. 14% noch nicht einmal sonderlich hoch. Die Größe der Stahlindustrie in China, von deren Wachstum die Branche weltweit einige Jahre lang profitiert hat, wird immer mehr vom Segen zum Fluch. Stahl ist nicht mehr knapp und teuer, sondern überreichlich vorhanden und immer billiger.

Und als ob das „chinesische Problem“ nicht schon alleine groß genug wäre, gibt es weitere Schwellenländer, die unter schwachen Inlandsmärkten leiden und mit dem Rückenwind schwacher Währungen auf die Weltmärkte streben. Russland und Brasilien seien als Beispiel genannt. Die Stahlmärkte in den verschiedenen Regionen der Welt werden in einer bisher nicht dagewesenen Form mit Halbzeug- und Walzstahleinfuhren konfrontiert. Traditionelle Absatz- und Preisstrukturen werden auf den Prüfstand gestellt. Aufgrund der gewachsenen weltweiten Verflechtung sind die wechselseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten gestiegen. Die Veränderungen geschehen in rasender Geschwindigkeit, aber den Herstellern bleibt nicht viel Zeit, um sich darauf einzustellen.

Nachdem die EU im vergangenen Jahr und auch noch zu Beginn diesen Jahres Dank des schwachen Euros weitgehend vor den sinkenden Weltmarktpreisen geschützt war, hat sich die Lage im Jahresverlauf geändert. Der Euro ist seit einigen Monaten gegenüber dem Dollar stabil mit leichter Aufwertungstendenz. Gegenüber anderen Währungen ist er zu einer starken Währung geworden. Nicht nur die Einfuhrmengen steigen, sondern die fortlaufend sinkenden Preisen kommen ungebremst in hiesigen Gefilden an.

Direkt betroffen von dieser Entwicklung sind alle Stahlerzeugnisse, die international gehandelt werden. Dass die Importe in den Empfängerländern auf einen Bedarf treffen, zeigt, dass die gebotenen Qualitäten und sonstigen Leistungen offenbar für viele Anwendungen als ausreichend erachtet werden. Selbst wo dies nicht der Fall ist, genügt die pure Existenz tiefpreisiger Angebote, um das Preisniveau auch bei höherwertigen Qualitäten in Frage zu stellen. Auch wo kein direkter Importwettbewerb gegeben ist, hat die neue Dynamik Folgen. Beispiel ist der Absturz der Schrottpreise in den vergangenen Monaten, die nur vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs zwischen schrottbasierten Elektrostahlwerken und eisenerzbasierten chinesischen Stahlerzeugern verstanden werden kann.

Angesichts der Lage am chinesischen Stahlmarkt ist derzeit nicht ersichtlich, was die Problematik kurzfristig entschärfen könnte. Das Problem der an vielen Stellen vorhandenen Überkapazitäten wird sich nicht schnell auflösen. Dass importbeschränkende Schutzmaßnahmen alleine keine schnelle Wirkung zeigen, hat sich in den vergangenen Monaten bereits angedeutet. Zumal jeder Zoll zu Ausweichreaktionen führt, die schwer vorhersehbar sind.

Aus Sicht der EU-Stahlindustrie gibt es einige wenige Hoffnungszeichen, wenigstens mit Blick schon ins kommende Jahr. Dazu gehört, dass die Rohstoffpreise insgesamt wahrscheinlich den größten Teil ihres tiefen Falls hinter sich gebracht haben. Der davon ausgehende Abwärtsdruck könnte dann etwas nachlassen. Zudem wird es auch für Stahlhersteller mit günstigen Kostenstrukturen auf dem gegenwärtigen Preisniveau immer schwieriger, Gewinne zu erzielen. Dies könnte den Preiswettbewerb eindämmen bzw. die notwendigen Marktbereinigungen einleiten. Drittens werden die Stahlhersteller mit einem hohen Anteil höherwertiger Stahlgüten und mit vielen längerfristigen Kontrakten etwas weniger stark vom Druck des Weltmarktes getroffen.

Diese Faktoren werden aber im vierten Quartal noch nicht für Entlastung sorgen. Mit weiteren Preisrückgängen ist zu rechnen. Lesen Sie Einzelheiten und Hintergründe zur aktuellen Markt- und Preisentwicklung sowie einen Ausblick auf die kommenden Monate in der neuen Ausgabe des Stahlmarkt-Briefes. Siehe die Inhaltsangabe hier http://www.stahlmarktconsult.de/news und nutzen Sie die einfache Bestellmöglichkeit

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