Die im Oktober aktualisierte Prognose des Weltstahlverbandes worldsteel hat bestätigt, was viele Unternehmen spätestens seit dem Sommer gespürt haben: Für Stahlverarbeiter und damit auch für Stahlhersteller ist das Jahr 2024 ein schreckliches Jahr. Statt des ursprünglich erwarteten Wachstums wird der Stahlverbrauch in Deutschland nochmals kräftig fallen und ein neues Allzeit-Tief erreichen. Anzeichen für eine Trendwende sind kaum zu erkennen. Entsprechend schalten viele Unternehmen in den Krisenmodus. Die Stahlpreisverhandlungen für 2025 werden beinhart. Nicht nur die großen Unterschiede zwischen Vertrags- und Spotmarktpreisen spielen eine Rolle. Auch die Prognose zur Entwicklung der Spotmarktpreise ist weniger trivial als es der Blick alleine auf die Nachfrageseite vermuten lässt.
Vom kräftigen Plus ins deutliche Minus: Chronologie
Im vergangenen Jahr war der Stahlverbrauch in Deutschland mit 28,2 Mio. Tonnen bereits auf den niedrigsten Stand seit 2009 gefallen. Die verbreitete Einschätzung zum Ende des Vorjahres war, dass damit ein Tiefpunkt erreicht worden sei. Die worldsteel-Prognose vom Oktober 2023 setzte den für 2024 erwarteten Verbrauch für Deutschland mit 32,3 Mio. Tonnen an, was einem Zuwachs von 10,6% entsprach. Positive Bestandseffekte und ein leichter Zuwachs des realen Bedarfs sollten den Aufschwung stützen. Bereits im April 2024 wurden dann sowohl der Ausgangswert für 2023 als auch die Zuwachsrate für 2024 nach unten korrigiert. Daraus resultierte ein erwartetes Marktvolumen von nur noch 28,9 Mio. Tonnen. In der jüngsten Prognose wird nun eine Schrumpfung um 7% auf nur noch 26,2 Mio. Tonnen erwartet. Damit fällt der Stahlverbrauch um fast 20% niedriger aus als es vor einem Jahr erwartet worden war.
Die neue Prognose markiert ein neues Allzeit-Tief. Sollte sie so eintreffen, wäre das deutsche Stahlmarktvolumen seit 2018 um mehr als ein Drittel geschrumpft. Nicht nur der reine Wert an sich ist ein großes Problem. Die rapide Verschlechterung der Marktbedingungen nach den noch im späten Frühjahr halbwegs optimistischen Erwartungen hat viele Unternehmen kalt erwischt und erschwert die Anpassung. Zudem ist der deutsche Markt wesentlich stärker als der gesamte EU-Markt betroffen. Nach der neuen Schätzung des europäischen Stahlverbandes Eurofer ist im selben Zeitraum der EU-Verbrauch „nur“ um 17% gefallen.
Keine durchgreifende Besserung in Sicht
Anders als in früheren Krisen liegt die deutsche Produktion in allen wichtigen Stahlabnehmerbranchen mehr oder weniger stark im Minus. Das erschwert es auch den kundenseitig breit aufgestellten Unternehmen, Einbrüche an der einen durch Zuwächse an der anderen Stelle auszugleichen. Die Bauwirtschaft wird von der Krise im Wohnungsbau überschattet, die viele mittelständischen Hersteller von Stahlerzeugnissen hart trifft. In der Automobilindustrie steht die Inlandsproduktion von PKW mit einem geringen Minus von 1% zum Vorjahr auf den ersten Blick noch relativ gut dar. Dies übertüncht aber die zahlreichen gravierenden Probleme der Branche. Das größte davon dürfte der massive Verlust von Marktanteilen in China und damit die damit einhergehenden, überproportional sinkende Gewinnbeiträge sein. Dazu kommt der schleppende Hochlauf der Elektromobilität, in die auch viele Zulieferer massiv investiert haben. Fallende Stückzahlen machen es schwer, die nötigen Deckungsbeiträge zu erwirtschaften.
Frühindikatoren machen wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung. Das best-case Szenario in den Konjunkturprognosen für 2025 ist mit „blutleere Erholung“ treffend beschrieben. Im kommenden Jahr könnte es von Quartal zu Quartal für Industrie und Baugewerbe minimal besser werden, aber größere Zuwächse und eine durchgreifende Besserung sind nicht zu erwarten. Zahlreiche Analysen zeigen, dass der Industriestandort Deutschland massiv an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Die Hersteller von hochwertigen Investitionsgütern und Automobilhersteller stehen durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck vor allem aus China vor besonderen Herausforderungen. Der Druck für Unternehmen mit hohem Energiekostenanteil und/oder hohem Anteil von CO2-intensiven Vorprodukten wird noch zunehmen. Denn die CO2-Bepreisung der EU steht gerade erst am Anfang. Die Rückkehr zu alter Exportstärke wird immer unwahrscheinlicher.
Die Gründe für diese Entwicklung sind bekannt. Die Kombination aus ungünstigen Marktbedingungen und einer politisch verursachten Standortschwäche hat sich zu einem Berg aufgetürmt, der nur schwer abzutragen sein wird. Viele Unternehmen haben keine andere Wahl, als in den Krisenmodus zu schalten. Die wachsende Zahl von Meldungen über Beschäftigtenabbau, Sparprogramme und Standortschließungen von auch gut aufgestellten Industriebetrieben aller Branchen und Größenklassen belegt dies.
Stahlpreisrunde 2025 wird beinhart
In dieser Situation fällt die Prognose nicht schwer, dass die bald beginnenden Stahlpreisverhandlungen für 2025 noch härter und komplizierter ausfallen werden als schon in den vergangenen Jahren. Viele Großkunden mit Jahresverträgen beklagen sich darüber, dass ihre Jahrespreise sehr weit über den Spotmarktpreisen liegen und fordern erhebliche Preisreduzierungen. Nach dem neuerlichen Rückgang der Spotmarktpreise in diesem Jahr hat sich die Kluft nochmals vergrößert. Es wird eine zentrale Frage der Verhandlungen sein, wie weit die in den vergangenen Jahren entstandene Lücke geschlossen werden kann.
Auch die Prognose zur Entwicklung der Spotmarktpreise im kommenden Jahr ist weniger trivial als es der Blick alleine auf die Nachfrageseite vermuten lässt. Wie auch in diesem Jahr werden die Rohstoffkosten der verschiedenen Stahlerzeugungsrouten eine entscheidende Rolle spielen. Dazu kommen Weltmarkteinflüsse und verschiedene importbeschränkenden Maßnahmen der EU. Da sich die Einflüsse schnell ändern können und zum Teil gegenläufig sind, bleibt es wichtig, den Markt eng zu verfolgen und anstehende Verhandlungen gut vorzubereiten.
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