Noch im Juli hatten EU-Flachstahlhersteller für das vierte Quartal deutliche Preisanhebungen angekündigt. Diese Pläne haben in den vergangenen beiden Monaten starken Gegenwind bekommen. Im Ergebnis sind am Spotmarkt die Preise seit der Jahresmitte sogar klar gefallen. Die Gründe dafür sind ein von China ausgehender starker Preisverfall bei Rohstoffen und die anhaltend schwache Nachfrage. Kurzfristig ist mit weiteren Preisrückgängen zu rechnen, wodurch Vertragskunden wachsende Nachteile gegenüber Spotmarktkunden hinnehmen müssen. Allerdings sollte das vierte Quartal noch nicht ganz abgeschrieben werden. Eine Wende bei den Rohstoffpreisen kann nicht ausgeschlossen werden. Vor allem mit Blick auf 2025 resultieren aus den Markteingriffen der EU auf der Importseite unverkennbare Risiken für Stahlverarbeiter.
Stahlmarkt Consult Blog
Die Stahlnachfrage ist im ersten Halbjahr weit hinter den Prognosen zurückgeblieben. Aktuelle Daten zeichnen ein düsteres Bild von der Lage der Stahlverbraucher. Eine konjunkturelle Besserung zeichnet sich nicht ab. Der Export wirkt anders als früher kaum noch stützend. Die internationale Wettbewerbsposition verschlechtert sich. Strukturelle Probleme werden die in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen. Bei der Umsetzung der Klimaschutzpolitik wird der industrielle Mittelstand alleine gelassen. Eine Industriepolitik, die sich auf die Grundstoffindustrie beschränkt und ansonsten hofft, dass schon alles gut geht, wird scheitern. Wenn die Politik sich nicht stärker um diese Leerstelle kümmert, werden Stahlverarbeitung und Stahlherstellung in Deutschland gleichermaßen schrumpfen.
Während allenthalben von „grünem“ Stahl die Rede ist, mangelt es an einer klaren Definition, was genau darunter zu verstehen ist. Die inflationäre Verwendung des Begriffs für unterschiedliche Sachverhalte ist ein echtes Hindernis für den Markthochlauf von CO2-reduzierten Stählen. Der deutsche Herstellerverband Wirtschaftsvereinigung Stahl hat im April einen neuen Standard zur Klassifikation von CO2-reduziertem Stahl vorgestellt, der noch in diesem Jahr am Markt eingeführt soll. Der Low Emission Steel Standard (LESS) soll eine standardisierte Klassifizierung von emissionsreduzierten Stählen ermöglichen. Die gut ausgearbeitete Methodik ist ein Fortschritt, birgt aufgrund der starken Gewichtung der Schrottquote aber für Stahlverarbeiter auch Stolpersteine. Daher ist es offen, in welchen Bereichen des Marktes sich das Label durchsetzen wird. In jedem Fall tun Stahlverarbeiter gut daran, sich intensiv mit den Feinheiten der CO2-Bilanzierung von Stahl zu beschäftigen.
Der Preisanstieg am Spotmarkt für Flachprodukte fiel zu Beginn dieses Jahres schwächer aus als im Vorjahr. Zugleich war die Aufwärtsbewegung von kürzerer Dauer. Schon seit Februar ist eine neue Kehrtwende zu beobachten und aktuell weist der Preistrend klar nach unten. Neben der schwachen Nachfrage sind auch wieder fallende Rohstoffkosten ein Treiber der Entwicklung. Es sieht so aus, als ob Spotmarkt-Käufer in diesem Jahr erneut besser abschneiden werden als Stahlverbraucher mit Jahresverträgen. Dies dürfte bei Stahlverarbeitern mit Vertragspreisen Fragen aufwerfen.
Seit Oktober 2023 läuft die Einführungsphase für das neu geschaffene CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) der EU. EU-Importeure der betroffenen Erzeugnisse sollen bis zum 31. Januar 2024 den ersten „CBAM-Report“ abgeben, mit dem die CO2-Emissionen der Waren der EU-Kommission zu berichten sind. In einem ersten Zwischenfazit muss man zu dem Schluss kommen, dass die Einführung des Systems – insbesondere in Deutschland – einem kapitalen Fehlstart gleicht. Während die Politik die dringende Notwendigkeit betont, überbordende Bürokratie in den Unternehmen abzubauen, sind dort Heerscharen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern damit beschäftigt, sich im Dschungel der CBAM-Vorgaben zurechtzufinden.
Der Weg über die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff ist nicht die einzige Möglichkeit zur Dekarbonisierung der Stahlerzeugung, dominiert aber die Diskussion insbesondere in Deutschland. Die heute mit Hochöfen arbeitenden Stahlhersteller beginnen mit der Umsetzung entsprechender Konzepte. Doch Einzelheiten der im Juli freigegebenen staatlichen Mittel für ThyssenKrupp Steel und die kürzlich veröffentlichte Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung werfen Fragen auf. Wann und zu welchen Kosten grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird, ist offen. Nicht (nahezu) CO2-freier, sondern in unterschiedlichem Maße CO2-reduzierter Stahl wird die Hochlaufphase prägen.
Am deutschen Spotmarkt sind Preise für Flachstahl im 1. Quartal – auch aufgrund von Sondereinflüssen - unerwartet stark gestiegen. In den vergangenen Wochen hat aber eine Kehrtwende eingesetzt. Im Mai sind die Abwärtskräfte stärker geworden, so dass in den kommenden Wochen mit weiteren Preisrückgängen gerechnet werden kann. Die Preise für baunahe Langprodukte, die schon unter dem Stand vom Jahresanfang liegen, stehen ebenso unter Druck. Die Aussichten für das zweite Halbjahr sind aus Herstellersicht bescheiden.
Mit Förderbescheiden über 1 Mrd. € an die Salzgitter AG hat in Deutschland die großflächige staatliche Unterstützung der grünen Transformation der Stahlindustrie begonnen. Vieles spricht dafür, dass die Branche in der EU in ein neues, lang andauerndes Subventions-Zeitalter eintritt. Eine aus privaten Mitteln finanzierte grüne Stahlindustrie scheint derzeit nur in Nordeuropa machbar. Ob in Deutschland jemals eine auf eigenen Füßen stehende, grüne und international wettbewerbsfähige Stahlindustrie erreicht werden kann, ist offen. Die breite öffentliche Finanzierung ist zwar aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, aus volkswirtschaftlicher Sicht aber fragwürdig. Die Vorstellung, bisherige Stahlstandorte mit etwas Anschubfinanzierung zu Vorreitern der neuen grünen Zeit zu machen, scheint naiv. Eine ehrliche Diskussion über die Zukunftsperspektiven unter geänderten Bedingungen ist erforderlich. Dabei müssen auch die Belange der Stahlverarbeiter berücksichtigt werden, die in der Diskussion viel zu kurz kommen.