Zahlreiche Krisenmeldungen aus der Stahlindustrie verdecken ein wenig, dass es für die Branche auch einige Lichtblicke gibt. So ist die deutsche Erzeugung im vergangenen Jahr gestiegen und schlägt sich auch im Mehrjahresvergleich besser als die Abnehmerbranchen. Der Stahlverbrauch hat im Jahr 2024 nicht ganz so schlecht abgeschnitten wie noch im Herbst befürchtet. Und die deutsche Außenhandelsbilanz steht so gut da wie lange nicht mehr. Die Lage der deutschen Stahlindustrie ist nicht so schlecht, wie sie in der öffentlichen Krisenkommunikation oft gemacht wird. Nötig sind nicht weitere einseitige Schutzmaßnahmen zu Lasten der Verbraucher, sondern bessere Standortbedingungen für die ganze Breite der Industrie.
Stahlerzeugung wieder höher, Verbrauch stabilisiert
Nach zuvor zwei Rückgängen ist die deutsche Stahlerzeugung im Jahr 2024 wieder gestiegen. Immerhin 5,2% beträgt das Plus nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Besonders überrascht das Plus von mehr als 10% bei den stromintensiven Elektrostahlwerken, nachdem die öffentliche Diskussion zuletzt eher von einzelnen Produktionsunterbrechungen infolge von Strompreisspitzen in „Dunkelflauten“ dominiert wurde.
Zwar muss bei dem Anstieg das niedrige Ausgangsniveau des Vorjahres berücksichtigt werden und eine Rohstahlerzeugung von 37,2 Mio. Tonnen ist kein wirklich guter Wert. Bemerkenswert ist der Zuwachs aber dennoch, gerade im Vergleich mit der deutlich schwächeren Entwicklung der Stahlabnehmerbranchen. Wie die folgende Grafik zeigt, hat sich in Deutschland die Stahlerzeugung nicht nur im Jahres-, sondern auch im 5-Jahresvergleich deutlich besser geschlagen als die Stahlverwender. Im Vergleich der Produktionsniveaus im Jahr 2024 zu 2019 schneidet nur das Baugewerbe „besser“ ab als die Stahlerzeugung. Dagegen müssen die Hersteller von Metallerzeugnissen, der Maschinenbau und die Automobilindustrie (dort besonders die Zulieferer) deutlich stärkere Produktionsrückgänge verkraften.
Nach Berechnungen von StahlmarktConsult hat sich im Jahr 2024 auch der Stahlverbrauch in Deutschland besser entwickelt als es noch im Herbst zu befürchten war. Statt des im Oktober vom Weltstahlverband prognostizierten Rückgangs um 7% dürfte das Minus eher bei knapp 1% liegen. Der angesichts des kräftigen Produktionsrückgangs bei den Stahlkunden überraschende positive Befund resultiert neben leicht stützenden Lagereffekten vor allem von Entwicklungen im Außenhandel.
Deutsche Stahlhersteller profitieren von stark verbesserter Außenhandelsposition
Denn die Trends bei Einfuhren und Ausfuhren bergen einige wirklich überraschende Erkenntnisse. Obwohl die Dezemberzahlen noch nicht vorliegen, ist klar: Das Ergebnis für 2024 wird so gut ausfallen wie mindestens seit 2008 nicht mehr. Wie schon 2023 hat die deutsche Stahlindustrie auch das Jahr 2024 mit einem Exportüberschuss abgeschlossen, der sich gegenüber dem Vorjahr sogar noch um mehr als 1 Mio. Tonnen vergrößert hat. Während in den Jahren 2017 und 2018 noch ein Importüberschuss von ca. 4 Mio. Tonnen zu verkraften war, wird 2024 ein Exportüberschuss von wahrscheinlich mehr als 2 Mio. Tonnen erzielt. Die Importe sind gegenüber den Spitzenjahren deutlich gefallen, die Exporte hielten sich dagegen recht stabil und sind 2024 sogar leicht gestiegen. Dadurch sind die hohen Importüberschüsse der 2010er Jahre verschwunden und haben sich seit 2023 sogar umgekehrt.
Die Entwicklung zeigt, dass Importe nicht einfach auf dem deutschen Markt „abgeladen“ werden, wie es in der Diskussion um potenzielle Handelsumlenkungen immer wieder behauptet wird. Vielmehr folgen die Einfuhren dem inländischen Bedarf und den Verfügbarkeiten. Zudem besteht bei Stahl anders als bei Stahlverarbeitern ein starker Importschutz durch hohe Anti-Dumping-Zölle der EU speziell gegen Einfuhren aus China und durch die seit 2018 geltenden und im Vorjahr verschärften „Schutzmaßnahmen“. Auf der Exportseite scheinen die deutschen Hersteller davon zu profitieren, dass mehr als 80% ihrer Exporte in der EU verbleiben. Dort scheinen sie sich im Wettbewerb gut behaupten zu können. Dagegen leiden Branchen wie der Maschinenbau und der Automotive-Bereich unter der schwächeren Nachfrage aus China bei gleichzeitig deutlich intensiviertem direktem Wettbewerb vor allem mit chinesischen Konkurrenten.
Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos
Diese Lichtblicke werden ein Schlaglicht darauf, dass die Lage der deutschen Stahlindustrie nicht so schlecht ist, wie sie in der öffentlichen Krisenkommunikation oft gemacht wird. Natürlich ist die Situation der Stahlhersteller nicht einfach. Mengenentwicklung sagen wenig über die Ertragslage, die bei vielen Stahlherstellern nicht einfach ist. Allerdings: wenn man einen genauen Blick auf veröffentlichte Kennzahlen wirft, zeigen sich auch dort teilweise beträchtliche Unterschiede zwischen verschiedenen EU-Herstellern. So mancher Hersteller scheint jedenfalls bisher ertragsseitig besser durch die aktuelle Phase zu kommen als in früheren Krisenzeiten.
Die Stahlindustrie steht genau wie der Rest der deutschen Industrie vor enormen Herausforderungen. Hoffnungslos ist die Lage aber nicht. In der politischen Diskussion könnte mehr Ehrlichkeit gut tun. Wer zum Beispiel von einer anschwellenden Importflut spricht, während die Importe fallen und die EU bereits einen einmalig hohen Schutzwall gegen Importe aufgebaut hat, lässt Aufrichtigkeit vermissen. Wer von hohen CO2-Preisen in der EU spricht, ohne die noch weitgehend kostenlose Freizuteilung von Emissionszertifikaten und großzügige Subventionen zu berücksichtigen, sagt nur die halbe Wahrheit. Vor allem aber steht die Stahlindustrie im Vergleich zur stahlverarbeitenden Industrie gar nicht so schlecht da. Nötig ist daher eine Politik, die die Standortbedingungen für die ganze Breite der Industrie verbessert. Weitere Maßnahmen zu Lasten der Stahlverbraucher, wie sie derzeit vor allem im Zusammenhang mit der Überprüfung der EU-Schutzmaßnahmen gefordert werden, sind nicht zu rechtfertigen.
© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.