Noch im Juli hatten EU-Flachstahlhersteller für das vierte Quartal deutliche Preisanhebungen angekündigt. Diese Pläne haben in den vergangenen beiden Monaten starken Gegenwind bekommen. Im Ergebnis sind am Spotmarkt die Preise seit der Jahresmitte sogar klar gefallen. Die Gründe dafür sind ein von China ausgehender starker Preisverfall bei Rohstoffen und die anhaltend schwache Nachfrage. Kurzfristig ist mit weiteren Preisrückgängen zu rechnen, wodurch Vertragskunden wachsende Nachteile gegenüber Spotmarktkunden hinnehmen müssen. Allerdings sollte das vierte Quartal noch nicht ganz abgeschrieben werden. Eine Wende bei den Rohstoffpreisen kann nicht ausgeschlossen werden. Vor allem mit Blick auf 2025 resultieren aus den Markteingriffen der EU auf der Importseite unverkennbare Risiken für Stahlverarbeiter.
Neue Preisrückgänge am Spotmarkt lassen Nachteile von Vertragskunden wachsen
Während Stahlhersteller für das Referenzprodukt Warmbreitband in Grundgüten noch im Juli Preisziele zwischen 660,- und 690,- €/t genannt hatten, liegen aktuelle Preise bei kurzfristiger Auslieferung um ca. 100,- €/t niedriger. Damit ist das niedrigste Niveau seit November 2020 erreicht. Gegenüber dem Jahresanfang 2024 sind die Spotmarkt-Preise in der Regel um weit mehr als 100,- €/t gefallen. Allerdings können bei weitem nicht alle Stahlverarbeiter von diesem Rückgang profitieren. Nicht wenige Unternehmen vor allem im Automotive-Bereich haben ihre Preise im Januar auf einem deutlich höheren Niveau für ein Jahr festgelegt. Unternehmen mit Halbjahresverträgen konnten zur Jahresmitte überwiegend nur Reduzierungen im niedrigen bis mittleren zweistelligen Eurobereich erzielen. Die seit 2023 bestehenden Nachteile von Vertragskunden sind also zuletzt noch einmal größer geworden. Auch wenn die Unterschiede teilweise sachlich begründet werden können, machen sie Preisverhandlungen entlang der Wertschöpfungskette zu einer komplizierten Sache.
Fallende Rohstoffkosten und schwache Nachfrage als aktuelle Preistreiber
Wichtigster Treiber der niedrigeren Spotmarktpreise sind fallende Rohstoffpreise. Bei Eisenerz und vor allem bei Kokskohle waren zuletzt kräftige Rückgänge zu verzeichnen. Wie das StahlmarktConsult-Kostenmodell zeigt, sind die Rohstoffkosten der Hochofenroute seit Juni um mehr als 50,- €/t gefallen. Gegenüber dem Jahresanfang ergibt sich sogar eine Entlastung um ca. 130,- €/t. Wie bei den Spotmarktpreisen ist bei den Rohstoffkosten der Hochofenroute der niedrigste Stand seit Ende 2020 erreicht.
Ursache für die Rückgänge ist eine ausgeprägte Schwäche des chinesischen Stahlmarktes. Dort sind am Inlandsmarkt die Preise zuletzt auf ein Sieben-Jahres-Tief gefallen. Dies setzt nicht nur die Rohstoffmärkte, sondern den gesamten Weltmarkt unter Druck. Aus EU-Sicht macht die jüngste Euro-Aufwertung Importe aus Drittländern und Rohstoffe zusätzlich günstiger.
Aufgrund der schwachen Nachfrage ist der Kostenrückgang auch in Deutschland voll auf die Spotmarktpreise durchgeschlagen. Nach kräftigen Produktionsrückgängen in allen wichtigen Stahlabnehmerbereichen im ersten Halbjahr zeichnet sich immer klarer ab, dass die für das zweite Halbjahr erhoffte Erholung der Industriekonjunktur ausbleiben wird. Auch wenn europäische Stahlhersteller den schwachen Inlandsmarkt teilweise durch einen besseren Export vor allem in die USA ausgleichen können und in geringem Maße von Bestandseffekten profitieren, hat der Wettbewerb um verfügbare Mengen unverkennbar zugenommen.
Ausblick mit vielen Unsicherheiten
Auch wenn sich die Stahlpreise im Moment in einer ausgeprägten Schwächephase befinden, muss dies nicht unbedingt bis zum Jahresende so bleiben. Ob mit den jüngsten Preisrückgängen die von manchen Experten schon länger erwartete Rückkehr der Rohstoffpreise auf ein strukturell niedrigeres Niveau begonnen hat, ist schwer einzuschätzen. In den vergangenen Jahren folgte auf Rückgänge im Sommer oft wieder ein Anstieg im Winterhalbjahr. Auch wenn es derzeit nicht so aussieht, lässt die enge Verbindung zwischen Rohstoff- und Finanzmarktmarkt in China die Möglichkeit zu, dass wir aktuell wenigstens teilweise nur eine kurzfristige spekulativ getriebene Übertreibung sehen. Wichtig ist auch, inwieweit es in den kommenden Monaten in den Rohstoff-Exportländern zu wetterbedingten Störungen des Angebots kommen wird. Höhere Rohstoffpreise würden nicht nur die weltweite Kostenkurve wieder nach oben schieben, sondern auch die im Moment aus taktischen Gründen reduzierte Stahlnachfrage dürfte dann profitieren.
Klar ist aber auch: Ohne eine Wende bei den Rohstoff- und Weltmarktpreisen werden Preisanhebungen bei Flachprodukten bis auf Weiteres kaum zu realisieren sein. Ohne Impulse von Außen dürfte der aus bestandszyklischen Gründen für den Jahresanfang typische Nachfrageanstieg am Stahlmarkt schwächer ausfallen als üblich. Die kurzfristigen Aussichten für den Stahlbedarf sind schlecht und die Unsicherheit am Markt sehr groß.
Der größte potenzielle Unterstützungsfaktor für höhere Flachstahlpreise liegt aktuell auf der Importseite. Die Auswirkungen der zum 1. Juli bei Warmband und Walzdraht partiell verschärften EU-Schutzmaßnahmen halten sich aktuell noch in Grenzen, dürften aber spätestens im neuen Jahr stärker zu spüren sein. Mit dem im August zudem eröffneten neuen Anti-Dumping-Verfahren gegen Warmbandeinfuhren aus wichtigen Lieferländern greift die EU-Kommission erneut recht unverhohlen zugunsten der EU-Hersteller in den Markt ein. Vorläufige Zölle könnten frühestens sieben Monate nach Verfahrenseröffnung im März 2025 verhängt werden. Sollte es dazu kommen, wären von den großen Herkunftsländern für Warmband nur noch Taiwan, Süd-Korea und die Ukraine nicht mit Zöllen belegt.
Welche Wirkung hohe Antidumping-Zölle entfalten können, deutet sich aktuell schon bei Weißblechen an. Nach der Eröffnung eines Anti-Dumping-Verfahrens gegen Weißbleche und -bänder mit Ursprung in China im Mai und in der Erwartung, dass demnächst hohe Importzölle in Kraft treten, kündigen EU-Hersteller schon jetzt für 2025 deutliche Preiserhöhungen an. Zwar ist die Marktlage bei den übrigen Flachprodukten nicht direkt vergleichbar und der Ausgang des Warmband-Verfahrens schwerer absehbar, die Risiken für Stahleinkäufer sind aber nicht zu verkennen. Trotz der aktuell entspannten Lage sollte die Marktbeobachtung nicht vernachlässigt werden. Die StahlmarktConsult-Informationsdienste können Sie dabei unterstützen.
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