Nicht Eisenerz, Kokskohle oder Schrott beschäftigen derzeit auf der Rohstoffseite viele Stahleinkäufer, sondern Graphit-Elektroden. Dabei handelt es sich um einen Kostenfaktor, mit dem bisher kaum jemand zu tun hatte. Zweifellos weist die Marktentwicklung bei Graphit-Elektroden in diesem Jahr eine besondere Dynamik auf. Höhere Preise und Versorgungsprobleme werden vor allem im Langprodukte- und Edelstahlbereich als Argument für höhere Preise herangezogen. Eine nähere Betrachtung macht deutlich, dass die Auswirkungen von höheren Graphit-Elektrodenpreisen auf die Herstellungskosten einzelner Stahlerzeugnisse oder Stahlunternehmen nicht pauschal beziffert werden können. Bei den zu berücksichtigenden Parametern gibt es eine große Spanne, die eine individuelle Betrachtung nahelegt.
Spätestens seit dem Sommer 2017 hat das Thema explodierender Preise für Graphit-Elektroden mehr und mehr Aufmerksamkeit am Stahlmarkt gewonnen. Wichtigste Ursache für den Preisanstieg sind Produktions- und Kapazitätskürzungen bei den Herstellern von Graphit-Elektroden infolge eines jahrelangen Preisverfalls. In den Vorjahren haben eher nicht-chinesische Hersteller wie das US-Unternehmen Graftech und SGL (2016 verkauft an das japanische Unternehmen Showa Denko) Werke geschlossen. In diesem Jahr sind vor allem chinesische Hersteller betroffen, die ca. 50% der globalen Kapazitäten auf sich vereinen. Aufgrund von umweltpolitischen Vorgaben sinkt in China sowohl die Graphit-Elektrodenproduktion als auch die Förderung des wichtigsten Vormaterials, des sog. Nadelkoks. Zudem steigt die Nachfrage nach Nadelkoks für andere Anwendungen. Hieraus resultiert am Weltmarkt eine Knappheit, einhergehend mit steigenden Preisen.
Geforderte Stahlpreiserhöhungen: viele Varianten
Einkäufer von Lang- oder Edelstahlprodukten werden derzeit von ihren Lieferanten häufig mit Forderungen nach höheren Preisen konfrontiert, die ausschließlich oder im Schwerpunkt mit der Marktsituation bei Graphit-Elektroden begründet werden. Je nach Lieferant variiert sowohl der Umfang der Erhöhung als auch das Instrument. Sowohl die Einführung eines neuen Zuschlags als auch eine Erhöhung von Basispreisen werden diskutiert.
Schon Ende Juli 2017 wurde zum Beispiel in der Fachpresse berichtet, der spanische Langprodukte-Hersteller Celsa habe einen Zuschlag auf seine Verkaufspreise in Höhe von 9,- €/t angekündigt und mit höheren Kosten für Elektroden, Ferrolegierungen und Feuerfestmaterialien begründet. Der europäische Marktführer für Rostfrei-Erzeugnisse, Outokumpu, hat Ende September angekündigt, für alle Rostfrei-Erzeugnisse einen neuen Zuschlag für Graphit-Elektroden in Höhe von zunächst 30,- €/t zu erheben, der künftig monatlich angepasst werden soll. Auf welcher Basis dies geschehen soll, ist derzeit unklar. Anfang Oktober hat der US-Hersteller AK Steel für Edelstahlerzeugnisse die Einführung eines Zuschlags in Höhe von 13,20 $/t angekündigt. Während also schon die Spanne bei den Zuschlägen recht groß ist, stehen bei geforderten Grundpreiserhöhungen teilweise noch deutlich höhere Zahlen im Raum.
Kostenwirkung: Teufel steckt im Detail
Die meisten Stahleinkäufer haben sich mit diesem Thema bisher nicht beschäftigt und tun sich entsprechend schwer mit einer Einschätzung. Zwar wird aus vielen Quellen zunehmend bekannt, dass die Preise der Graphit-Elektroden in den vergangenen Monaten kräftig gestiegen sind. Der Teufel steckt aber im Detail. Oft wird zum Beispiel in der Berichterstattung nicht zwischen Spotmarkt- und Vertragspreisen unterschieden. Letztere dürften bisher bei den meisten europäischen und US-amerikanischen Stahlherstellern zur Anwendung gekommen sein. Wenn Jahrespreise für 2017 vereinbart und nicht nachträglich gekündigt worden sind, tritt eine Kostenerhöhung erst mit neuen Verträgen zum Jahreswechsel 2018 ein. Dann stellt sich die Frage, für welchen Zeitraum im neuen Jahr Festpreise vereinbart werden. Dagegen hat der deutlich spotmarktnähere asiatische Stahlmarkt schon im Verlauf des Jahres 2017 höhere Preise und Versorgungsprobleme zu spüren bekommen. Auch aus der Türkei sind immer wieder entsprechende Informationen gekommen.
Da die individuellen Vertragspreise und -laufzeiten einzelner Stahlhersteller naturgemäß nicht bekannt sind, bestimmen Angaben zur Preisentwicklung am Spotmarkt das Bild. Über das Ausmaß des Preisanstieges gibt es dabei sehr unterschiedliche Angaben. So werden je nach Quelle Preise für Graphit-Elektroden zwischen 4.000,- und 35.000,- $/t genannt. Das Ausgangsniveau des Vorjahres wird oft auf 2.000,- $/t beziffert. Besonders hohe Preise werden beim Export vom chinesischen Markt genannt. Es ist aber keinesfalls ausgemacht, dass kursierende chinesische Export-Spotmarktpreise auch nur näherungsweise eine Benchmark für Vertragspreise westlicher Stahlhersteller darstellen. Nach Ansicht von Marktkennern lagen europäische Vertragspreise am Jahresanfang 2017 in vielen Fällen spürbar über dem Spotmarktniveau, werden bei Neuabschlüssen für 2018 aber auch nicht so stark steigen wie manche Spotpreise. Zudem gibt es verschiedene Sorten an Graphit-Elektroden. Im Ergebnis kann man festhalten, dass es den einen Preis für Graphit-Elektroden schlicht nicht gibt.
Auch die Aussagen zu den bei der Stahlherstellung anfallenden Elektrodenverbräuchen gehen auseinander. Graphit-Elektroden sind für Elektrostahlwerke ein nötiges Produktionsmittel, das nicht ersetzt werden kann. Das Elektrostahlverfahren kommt in Deutschland bei bestimmten Langprodukten und bei Edelstahl zum Einsatz. Je nach Alter und Konfiguration der Anlagen, herzustellendem Stahlerzeugnis und Region variieren die Elektrodenverbräuche. Diese sind infolge der technologischen Entwicklung im Zeitverlauf immer weiter gesunken. Der führende Elektroden-Hersteller Graftech schätzt den typischen Elektrodeneinsatz auf 1,7 bis 1,8 kg pro Tonne erzeugtem Stahl. In Deutschland dürfte der spezifische Elektrodenverbrauch zur Erzeugung einer Tonne Rohstahl im Elektroofen überwiegend zwischen 1,3 und 1,7 kg liegen, wobei Abweichungen natürlich möglich sind. Elektrodenverbräuche zwischen 0,9 und 1,1kg je Tonne Elektrostahl gelten als Bestwert. Auch bei der Hochofenroute werden Graphit-Elektroden im Rahmen der sekundärmetallurgischen Behandlung benötigt, allerdings in deutlich geringerem Maße. Als Richtwert wird hier ein Verbrauch zwischen 0,1 und 0,2 kg pro Tonne Stahl genannt.
Auf die spezifische Konstellation kommt es an
Die große Spanne bei den verschiedenen Parametern macht deutlich, dass die Auswirkungen von höheren Graphit-Elektrodenpreisen auf die Herstellungskosten einzelner Stahlerzeugnisse oder die Kostensituation einzelner Stahlunternehmen nicht pauschal beziffert werden können. Bei den zu berücksichtigenden Parametern gibt es eine große Spanne, die eine individuelle Betrachtung nahelegt. Es kommt jeweils auf die spezifische Konstellation an. Inwiefern sich elektrodenbezogene Preiserhöhungen, sei es über Zuschläge oder über Grundpreise, am Markt letztlich umsetzen lassen, hängt sowieso nicht alleine von der Kostenentwicklung ab. Entscheidend ist die Verhandlungsposition der beteiligten Vertragsparteien. Welchen Ausgang die anstehenden Verhandlungen der betroffenen Unternehmen nehmen werden, darf mit Spannung erwartet werden.