Die Handelspolitik gehört weiterhin zu den am heißesten diskutierten Stahlmarkt-Themen. Zuletzt machte die Verhängung von Antidumping-Zöllen gegen deutsche Stahlhersteller durch die US-Behörden Schlagzeilen. Die Entscheidung zeigt, dass die Grenzen zwischen legitimen Antidumping-Maßnahmen und Protektionismus fließend sind. Es ist daher wichtig, den Dumpingbegriff nicht inflationär und beliebig zu verwenden. Nicht jeder günstige Importpreis ist ein Dumpingpreis. Das Antidumpingrecht darf nicht als Schutzmittel gegen unerwünschte Folgen der Globalisierung missbraucht werden.
Die Aufregung in weiten Teilen der Presse war groß, als kürzlich das US-Handelsministerium Grobblech-Exporte der deutschen Hersteller Salzgitter, Dillinger und weiterer europäischer Hersteller mit Antidumping-Zöllen belegte. Nicht selten wurden die Zölle als Anzeichen dafür gewertet, dass „Trump jetzt ernst“ mache. Dabei gehen die Zölle auf ein Verfahren der Vorgänger-Regierung zurück. Schon unter Obama war auf Druck der US-Stahllobby das US-Außenwirtschaftsrecht in einer Weise verschärft worden, die absurd hohe Anti-Dumping-Zölle ermöglichte (siehe dazu auch den Blogbeitrag Einfuhrzoll 522,33%-Vorbild USA?).
Nur waren bisher vor allem chinesische Stahlhersteller von den kaum nachvollziehbaren Kalkulationsmethoden der US-Behörden betroffen. Nun trifft es auf derselben Rechtsbasis auch europäische Unternehmen und der Aufschrei ist groß. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn die EU-Stahlindustrie wird nicht müde, den „effektiven“ Handelsschutz der USA gegen unlautere Stahlimporte als Vorbild zu bemühen. Die größere Zahl der Verfahren, die kürzere Verfahrensdauer und nicht zuletzt die höheren Zölle der USA werden mit den vielfach als zu lasch empfundenen Maßnahmen der EU verglichen. Mit dem Dumping-Tatbestand als solchem hält man sich nicht lange auf. Es wird vom Ende hergedacht: wie hoch sollte ein Zoll soll sein, damit er den Stahlherstellern der EU etwas bringt? Auch Salzgitter-Chef Fuhrmann reihte sich immer wieder in den Kreis der Rufer nach höheren EU-Strafzöllen ein. Dieses Denken öffnet protektionistischen Maßnahmen die Tür.
Je mehr der von der heimischen Industrie geforderte Schutz und nicht das eigentliche Dumping im Zentrum steht, desto größer ist die Protektionismus-Gefahr. Die US-Entscheidung zeigt ebenso wie die Antidumping-Kampagne der EU, dass die Grenzen zwischen legitimen Antidumping-Maßnahmen und Protektionismus fließend sind. Eine Zuordnung ist nicht einfach und geht jedenfalls nicht alleine aus der rechtlichen Etikettierung hervor.
Denn die Regeln der Welthandels-Organisation WTO zum Vorgehen gegen gedumpte Einfuhren geben einen Rahmen vor, den die Staaten sehr unterschiedlich ausfüllen. Der Teufel steckt hier immer im Detail. Die Salzgitter AG verweist in einer Presseinformation auf die WTO-Definition, nach der Dumping gegeben ist, wenn ein Unternehmen ein Produkt zu einem Preis exportiert, der unter dem normalen Preis auf dem eigenen Heimatmarkt liegt. Es gibt keinen Anlass an der Aussage des Unternehmens zu zweifeln, auf dieser Basis sei der Vorwurf des Preisdumpings unberechtigt. Das Problem ist aber: Mit der ursprünglichen WTO-Definition haben die Antidumpingverfahren beidseits des Atlantiks kaum noch etwas zu tun. Bei der Bewertung, was „unfaire“ und „gedumpte“ Einfuhren sind, kommen eine Reihe von verfahrenstechnischen Details zur Anwendung. Dies sind in der EU zum Beispiel das Vergleichslandprinzip, in den USA „adverse facts available“. Dabei wird der Tatbestand „Dumping“ sowohl von den USA als auch von der EU im Falle Chinas besonders weit ausgelegt, es kann aber auch andere Lieferländer treffen.
Die Frage, welche Vorgehensweise überhaupt noch WTO-konform ist, wird von den Parteien durchaus unterschiedlich beantwortet. So hat China im Dezember 2016 bei der WTO eine Beschwerde gegen die USA und die EU eingelegt, um die Anwendung des Vergleichslandprinzips zu stoppen. In früheren Fällen hat die WTO eine fehlerhafte Vorgehensweise der EU bei der Anwendung der WTO-Regeln bereits festgestellt. Russland hat im Januar 2017 eine Beschwerde gegen die von EU verhängten Strafzölle gegen die Einfuhr von kaltgewalzten Blechen eingereicht. Die EU überlegt ihrerseits, vor der WTO gegen die jüngsten US-Zölle vorzugehen. Das Problem ist, dass der WTO-Prozess zur Klärung strittiger Fragen äußerst kompliziert ist und oft Jahre in Anspruch nimmt. Der Schaden für die möglicherweise zu Unrecht betroffenen Exporteure und ihre Kunden ist dann unumkehrbar entstanden.
Die Unterscheidung zwischen „guten“, WTO-konformen Antidumpingzöllen und „bösen“ protektionistischen Schutzmaßnahmen ist also nicht einfach. Die Durchführung von Antidumpingverfahren und die Verhängung von Antidumpingzöllen können durchaus protektionistisch sein. Nur ist der Protektionismus dann nicht ganz so leicht zu erkennen wie bei anderen Maßnahmen. Daher ist es wichtig, den Dumpingbegriff nicht inflationär zu verwenden und auch nicht unkritisch zu übernehmen. In vielen Fällen ist „Dumping“ zu einem Kampfbegriff geworden, mit dem Importe bewusst abqualifiziert werden sollen. Nicht jeder günstige Importpreis ist ein Dumpingpreis. Das Antidumpingrecht darf nicht als Schutzmittel gegen unerwünschte Folgen der Globalisierung missbraucht werden.