Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Stahlhandelspolitik der EU: Schlag auf Schlag

Mit neuer Intensität geht die EU-Kommission gegen Stahleinfuhren in die EU vor. In diesem Frühjahr sorgen gleich vier Anti-Dumping-Untersuchungen für Gesprächsstoff. Damit scheint die eher liberale Handelspolitik passé zu sein. An ihre Stelle getreten ist offenbar eine aktive Schutzpolitik der EU-Kommission zugunsten der heimischen Stahlhersteller. Damit folgt die EU einem globalen Trend und dem verbreiteten Ruf nach mehr Schutz gegen Einfuhren. Ob die Einführung von neuen Zöllen den Stahlunternehmen aber unter dem Strich wirklich grundlegend hilft, ist fraglich.  

Bei der Stahlhandelspolitik der EU ging es in den vergangenen Wochen Schlag auf Schlag. Am 25. März gab die EU-Kommission die Einführung vorläufiger Antidumpingzölle gegen Einfuhren von kaltgewalzten Flacherzeugnissen aus nicht rostendem Stahl mit Ursprung in China (Zollhöhe 25,2%) und Taiwan (Zollhöhe 12,0%) bekannt. Am 30. April folgte die Einleitung eines Antidumpingverfahrens gegen Einfuhren von hochdauerfestem Betonstabstahl mit Ursprung in China (das allerdings aufgrund der betroffenen Tarifnummern vor allem für den britischen Markt relevant ist). Am 13. Mai wurden vorläufige Antidumpingzölle zwischen 21,6% und 35,9% gegen Einfuhren von kornorientierten Flacherzeugnissen aus Silicium-Elektrostahl mit einer Stärke von mehr als 0,16mm mit Ursprung in China, Japan, Korea, Russland und der USA verhängt. Den vorläufigen Höhepunkt setzte dann am 14. Mai die Einleitung eines Antidumpingverfahrens gegen Einfuhren von kaltgewalzten Flacherzeugnissen mit Ursprung in China und Russland. Nach Schätzungen umfassen die vier Verfahren zusammen ungefähr gut 10% der EU-Stahleinfuhren des Jahres 2014.

Die geballte Ladung der Bekanntmachungen dürfte kein Zufall sein. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass die Kommission dem Rest der Welt eine klare Botschaft senden wollte: „Wir wehren uns gegen Eure Einfuhren!“ Genau dies hatten Vertreter der europäischen Stahlindustrie in den vergangenen Monaten gefordert.

Die EU steht nicht alleine. Das bei Stahlerzeugnissen deutlich gestiegene Handelsvolumen führt weltweit zum Ruf nach Schutz der heimischen Industrie vor steigenden Einfuhrmengen. Vor allem an China geht der Vorwurf, die eigenen Überkapazitäten mithilfe von Exporten in die Welt zu tragen. Aber auch aus anderen Regionen der Welt ist seit 2014 zunehmend Stahl nach Europa gekommen. Für die EU-Stahlindustrie hat dies zur Folge, dass die leichten Mengenzuwächse am einheimischen Markt nicht zu einem steigenden Absatz führten. Vielmehr haben Anbieter aus Drittstaaten ihre Marktanteile steigern können und zudem durch teilweise günstige Angebote den Preiswettbewerb angefacht.

Es ist verständlich, dass die EU sich gegen gedumpte Einfuhren schützen will, zumal zahlreiche Länder zunehmend tarifäre oder nicht-tarifäre Handelshemmnisse diskutieren und auch einführen. Dadurch werden Stahlhandelsströme immer weiter in die Regionen umgelenkt, deren Märkte relativ offen sind. In diesem Umfeld Wehrhaftigkeit zeigen zu wollen, ist nachvollziehbar. Manche Bankanalysten applaudieren und sehen für die Stahlhersteller der EU steigende Spielräume für Preiserhöhungen und bessere Unternehmensergebnisse.

Ob aber Einfuhrzölle auf lange Sicht ein Heilsbringer für die Stahlindustrie der EU sind, darf bezweifelt werden. Erstens wird damit das eigentliche Problem, die globalen Überkapazitäten, nicht angegangen. Die durch Zölle faktisch ausgeschlossenen Importe dürften in vielen Fällen schnell von Anbietern aus anderen Ländern ersetzt werden. Zweitens geht ein erheblicher Teil der derzeit sehr ausgeprägten Wettbewerbsintensität am EU-Markt nicht auf Einfuhren aus Drittländern, sondern auf innereuropäische Lieferungen zurück. Dies gilt ganz besonders für den im EU-Vergleich starken deutschen Markt. Drittens sind –unabhängig von Einfuhren- die drastisch gesunkenen Rohstoffkosten der Hauptgrund für den latenten Preisdruck bei vielen Stahlerzeugnissen.

Aus diesen Gründen dürfte sich die Lage der EU-Stahlindustrie durch die Verhängung von Antidumpingzöllen kaum nachhaltig verbessern. Jedes neue Verfahren und jeder neue Zoll erhöht aber die Gefahr einer Eskalation der weltweiten Handelskonflikte, von der schnell auch die europäische Stahlindustrie betroffen sein könnte. Deren eigenen Exporte wurden in den vergangenen Monaten durch den schwachen Euro maßgeblich beflügelt. Mit dieser willkommenen Entlastung könnte es schnell vorbei sein, wenn die Handelsstreitigkeiten weiter eskalieren. Denn nur ungefähr die Hälfte aller weltweit eingeleiteten Maßnahmen richtet sich gegen China.  

Vorläufige Zölle, die Einleitung von Verfahren oder auch nur entsprechende Absichtsbekundungen haben am Markt eine unmittelbare Wirkung. Das Interesse an den betroffenen Erzeugnissen nimmt bei den EU-Verwendern ab. Dies gilt umso mehr, je langfristiger eine Lieferbeziehung angestrebt wird. Denn kaum jemand nimmt das Risiko in Kauf, dass mögliche Einfuhrzölle in erheblicher Höhe die gesamte Kalkulation zunichtemachen. Generell müssen europäische Stahlverbraucher bei allen Importen aus Nicht-EU-Ländern das Risiko von potenziellen Antidumpingmaßnahmen mit bedenken. Gerade bei Erzeugnissen mit nur noch wenigen EU-Herstellern werden die Bezugsmöglichkeiten reduziert. Am Spotmarkt, an dem die Einfuhren aus Drittländern häufig gehandelt werden, nimmt der Preiswettbewerb tendenziell ab. Für Verbraucher sind Antidumpingverfahren daher eindeutig negativ.

Diese Überlegungen führen zu dem Schluss, dass das handelspolitische Schutzinstrumentarium nur sehr verantwortungsvoll und unter einer ausgewogenen Berücksichtigung aller Interessen eingesetzt werden sollte. Ob dies wirklich der Fall ist, lässt sich nicht aus Lippenbekenntnissen für den freien Handel ableiten. Denn allzu oft verbirgt sich hinter dem Bekenntnis zu „fairem Wettbewerb“ der Wunsch nach einer Ausschaltung von unliebsamer Konkurrenz.

Nur die Durchsicht der Details und Ergebnisse in jedem einzelnen Verfahren ermöglicht eine Bewertung. Leider lassen die ersten Zwischenergebnisse (siehe hier eine Bewertung der vorläufigen Entscheidung im Rostfrei-Verfahren) und auch die „Dramaturgie“ der jüngsten EU-Bekanntmachungen einige Zweifel daran aufkommen, dass hier wirklich unvoreingenommen untersucht wird, ob die Voraussetzungen für Schutzmaßnahmen erfüllt sind.

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