In diesen Tagen hat der Weltstahlverband worldsteel seinen neuen „Short Range Outlook“ für die Jahre 2014 bis 2015 veröffentlicht, der Prognosen zum Wachstum der Stahlnachfrage in den einzelnen Regionen enthält. Wenig verwunderlich wurde die Prognose für die Entwicklung des globalen Stahlverbrauchs gegenüber der letzten Vorhersage vom April deutlich nach unten korrigiert. Nachdem im April noch ein Wachstum von 3,1% in diesem und 3,3% im kommenden Jahr erwartet worden war, hält die Organisation nun eine Wachstumsrate von jeweils 2,0% für wahrscheinlich. Für manchen Marktbeobachter überraschend war aber, dass die Prognose für das Wachstum der EU-Stahlnachfrage in diesem Jahr von 3,1% auf 4,0% Prozent nach oben korrigiert wurde. Diese positive Wachstumszahl ist trügerisch und verstellt den Blick auf die aktuelle Marktentwicklung.
Das gerade im Vergleich zu den Vorjahren hohe Wachstum könnte zwar tatsächlich erreicht werden. Es wurde aber, begünstigt von der milden Witterung, bereits in den ersten Monaten des Jahres erzielt. Nach der Eurofer-Statistik zur Marktversorgung ist die sichtbare Stahlnachfrage der EU im ersten Halbjahr bei Flachprodukten um 3,6% und bei Langprodukten um 8,6% gewachsen. Damit kann ein Wachstum von 4% im Gesamtjahr schon mit einer Stagnation im zweiten Halbjahr erreicht werden.
Genau diese Stagnation scheint sich in den vergangenen Wochen eingestellt zu haben. Dem Aufschwung am Stahlmarkt, der im zweiten Halbjahr 2013 begonnen hatte, ist offenbar die Puste ausgegangen. Der für den Jahresverlauf ursprünglich erwartete Rückenwind durch einen sich verstärkenden konjunkturellen Aufschwung bleibt aus. Die Wachstumsprognosen für die Eurozone wurden gerade von IWF und OECD auf 0,8% reduziert, wobei die Lage in Italien und Frankreich äußerst ernüchternd ist. Die großen Niveauunterschiede im Stahlbedarf der EU-Staaten bleiben zementiert.
Auch der von der Wirtschaftsvereinigung Stahl zuletzt für 2014 prognostizierte Anstieg der deutschen Marktversorgung um 3% dürfte in erheblichem Maße auf den in den ersten Monaten des Jahres erzielten Zuwächsen beruhen. Doch auch in Deutschland hat die wirtschaftliche Dynamik an Kraft verloren. Die Konjunkturmeldungen der letzten Wochen waren fast durchweg negativ, die Wachstumsprognosen für die Gesamtwirtschaft sind nach unten korrigiert worden. Diese Entwicklungen werden nicht ohne Auswirkung auf den Stahlverbrauch bleiben. Schon im dritten Quartal lag die Rohstahlproduktion leicht unter dem Vorjahr, ebenso der Versand des Stahlhandels in der Summe der Monate Juli und August. Aus fast allen Marktsegmenten wird berichtet, dass die Geschäftsentwicklung nach der Sommerpause hinter den Erwartungen zurück geblieben ist. Konjunktureller Rückenwind sieht anders aus.
Inwieweit es sich bei der Konjunkturabschwächung um ein nur temporäres Phänomen handelt, muss abgewartet werden. Schon jetzt liegen aber die für die EU und für Deutschland in 2015 erwarteten Zuwächse beim Stahlbedarf unter den Werten für 2014. Und angesichts der zahlreichen geopolitischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten sind alle Prognosen mit Unsicherheit und aus heutiger Sicht mit mehr Abwärtsrisiken als Aufwärtspotenzial behaftet.