Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Eine Tonne Stahl für unter 150,- $? Das gibt es nur bei der LME!

Im Jahr 2008 startete die Londoner Metallbörse (LME) ihren Börsenhandel mit Stahl. Genauer gesagt den Handel mit Halbzeug für Langprodukte (Billets). Begleitet wurde dieser Schritt von einer intensiven Diskussion in der Stahlbranche: Kann man überhaupt Stahl an einer Börse handeln, für wen könnte das sinnvoll sein, wem könnte es schaden? Die Skepsis war bei vielen groß. Heute muss man sagen: zurecht!

Im Juli 2013 kostete eine Tonne Stahl an der LME durchschnittlich weniger als 150,- $/t. Mitte Juli sank die Börsennotierung sogar kurzzeitig unter 100,- $/t. Jeder, der sich nur ein klein wenig mit dem Stahlmarkt auskennt, weiß, dass dies Werte sind, die mit der Realität nichts zu tun haben. Der Schrott, den man für die Herstellung von Billets als Rohstoff benötigt, kostet alleine weit mehr als 300,- $/t. Die Exportpreise russischer Hersteller für Billets lagen im Juli bei ca. 500,- $/t. Die LME-Notierungen sind also meilenweit von realistischen Größenordnungen entfernt.

Die LME wollte mit ihrer Stahlnotierung ein Instrument für die Risikoabsicherung anbieten und mit Stahl den Weg von zum Beispiel Aluminium beschreiten, wo die LME-Notierungen ein branchenweit akzeptierter Standard sind. Nun ist die Hauptvoraussetzung jeder Risikoabsicherung mit Hilfe von Finanzmarktinstrumenten, die Übereinstimmung von Börsenpreis mit dem Preis des realen physischen Geschäfts, in einem Maße nicht erfüllt, das der Börsennotierung jeglichen Sinn nimmt.

Wie ist es dazu gekommen? Immerhin wies der LME-Stahlkontrakt nach seiner Einführung über Jahre eine recht hohe Übereinstimmung mit den Preisen im tatsächlichen Handel auf und konnte durchaus als Preisindikator für bestimmte Langprodukte dienen. Erst im Jahr 2012 begann sich die Schere immer weiter zu öffnen und im Sommer 2013 erreichte die Differenz mit zeitweise mehr als 350,- $/t ihren traurigen Höhepunkt.

Händler erklären die große Diskrepanz vor allem mit der im November 2012 getroffenen Entscheidung der LME, sechs zuvor als Lieferpunkte für den Billet-Kontrakt fungierende, vor allem in den USA liegende, Warenhäuser auszulisten. Dort noch gelagerte Bestände müssen bis Mai 2014 entfernt werden. Der Hauptgrund für diese Entscheidung war wiederum, dass Käufer aufgrund von logistischen Schwierigkeiten manchmal Monate lang auf die Auslagerung des in diesen Warenhäusern gelagerten Stahl-Halbzeugs warten mussten. Durch diesen Missstand wurde der eigentliche Vorteil des LME-Konzeptes, nämlich dass der Börsennotierung ein echtes physisches Geschäft zugrunde lag (oder wenigstens zugrunde liegen konnte) in sein Gegenteil verkehrt. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das vor allem in Detroit gelagerte Material nicht den Spezifikationen des dortigen Marktes entspreche, sondern nur in Nordafrika oder im Nahen Osten verwendet werden könne. Lange Wartezeiten und hohen Transportkosten führen zu entsprechenden Preisabschlägen. Dazu kommen Vorwürfe, die LME habe trotz verschiedener Korrekturen an ihrem Kontrakt noch immer nicht die Funktionsweise der Stahl-Märkte richtig verstanden und könne sie daher auch nicht richtig abbilden.

Für sich genommen bedeutet die Geschichte des LME-Stahlkontraktes einen großen Rückschlag für alle Bemühungen, Finanzmarktinstrumente zur Risikoabsicherung in der Stahlwirtschaft zu etablieren. Obwohl die LME erklärt hat, weiter an dem Stahl-Kontrakt festzuhalten und sogar die Ausweitung auf weitere Produkte zu prüfen, dürfte der erlittene Imageschaden nur schwer wieder gut zu machen sein. Die auf Preisinformationsdiensten beruhenden, außerbörslichen Swap-Geschäfte bieten derzeit eine deutlich bessere Basis für Hedging-Geschäfte im Stahlbereich, obwohl auch in diesem Segment nicht alles Gold ist, was glänzt.

Doch das LME-Desaster richtet über den noch kleinen Markt der Risikoabsicherungsgeschäfte hinaus einigen Schaden an. So stellte jüngst selbst eine so renommierte Zeitung wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die Stahlpreisentwicklung anhand der LME-Notierung dar und verleitete den branchenfremden Leser damit zu falschen Schlüssen (siehe FAZ-Artikel vom 01.08.2013). Wenn im selben Artikel ein Bankanalyst mit den Worten zitiert wird, „der Preis müsse schon auf 100 Dollar pro Tonne steigen, damit die Unternehmen profitabel arbeiten können“, so ist das schon sehr irreführend und ärgerlich.

Gerade Finanzmarktkreise, die sich mit den Stahlmärkten nicht gut auskennen, nehmen die LME-Notierung offenbar gerne für bare Münze. Dies kann dann bis hin zu Fällen führen, in denen die Kreditwürdigkeit eines mit Stahl befassten Unternehmens anhand des LME-Billet-Kurses beurteilt wird. Und da hört der Spaß dann endgültig auf. Bis auf Weiteres kann also der Rat nur lauten, die LME-Stahl-Notierung getrost zu ignorieren.

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Nachdruck und Verwendung mit Quellenangabe ist erlaubt.

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