Die im Oktober aktualisierte Prognose des Weltstahlverbandes worldsteel hat bestätigt, was viele Unternehmen spätestens seit dem Sommer gespürt haben: Für Stahlverarbeiter und damit auch für Stahlhersteller ist das Jahr 2024 ein schreckliches Jahr. Statt des ursprünglich erwarteten Wachstums wird der Stahlverbrauch in Deutschland nochmals kräftig fallen und ein neues Allzeit-Tief erreichen. Anzeichen für eine Trendwende sind kaum zu erkennen. Entsprechend schalten viele Unternehmen in den Krisenmodus. Die Stahlpreisverhandlungen für 2025 werden beinhart. Nicht nur die großen Unterschiede zwischen Vertrags- und Spotmarktpreisen spielen eine Rolle. Auch die Prognose zur Entwicklung der Spotmarktpreise ist weniger trivial als es der Blick alleine auf die Nachfrageseite vermuten lässt.
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Noch im Juli hatten EU-Flachstahlhersteller für das vierte Quartal deutliche Preisanhebungen angekündigt. Diese Pläne haben in den vergangenen beiden Monaten starken Gegenwind bekommen. Im Ergebnis sind am Spotmarkt die Preise seit der Jahresmitte sogar klar gefallen. Die Gründe dafür sind ein von China ausgehender starker Preisverfall bei Rohstoffen und die anhaltend schwache Nachfrage. Kurzfristig ist mit weiteren Preisrückgängen zu rechnen, wodurch Vertragskunden wachsende Nachteile gegenüber Spotmarktkunden hinnehmen müssen. Allerdings sollte das vierte Quartal noch nicht ganz abgeschrieben werden. Eine Wende bei den Rohstoffpreisen kann nicht ausgeschlossen werden. Vor allem mit Blick auf 2025 resultieren aus den Markteingriffen der EU auf der Importseite unverkennbare Risiken für Stahlverarbeiter.
Die Stahlnachfrage ist im ersten Halbjahr weit hinter den Prognosen zurückgeblieben. Aktuelle Daten zeichnen ein düsteres Bild von der Lage der Stahlverbraucher. Eine konjunkturelle Besserung zeichnet sich nicht ab. Der Export wirkt anders als früher kaum noch stützend. Die internationale Wettbewerbsposition verschlechtert sich. Strukturelle Probleme werden die in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen. Bei der Umsetzung der Klimaschutzpolitik wird der industrielle Mittelstand alleine gelassen. Eine Industriepolitik, die sich auf die Grundstoffindustrie beschränkt und ansonsten hofft, dass schon alles gut geht, wird scheitern. Wenn die Politik sich nicht stärker um diese Leerstelle kümmert, werden Stahlverarbeitung und Stahlherstellung in Deutschland gleichermaßen schrumpfen.
Während allenthalben von „grünem“ Stahl die Rede ist, mangelt es an einer klaren Definition, was genau darunter zu verstehen ist. Die inflationäre Verwendung des Begriffs für unterschiedliche Sachverhalte ist ein echtes Hindernis für den Markthochlauf von CO2-reduzierten Stählen. Der deutsche Herstellerverband Wirtschaftsvereinigung Stahl hat im April einen neuen Standard zur Klassifikation von CO2-reduziertem Stahl vorgestellt, der noch in diesem Jahr am Markt eingeführt soll. Der Low Emission Steel Standard (LESS) soll eine standardisierte Klassifizierung von emissionsreduzierten Stählen ermöglichen. Die gut ausgearbeitete Methodik ist ein Fortschritt, birgt aufgrund der starken Gewichtung der Schrottquote aber für Stahlverarbeiter auch Stolpersteine. Daher ist es offen, in welchen Bereichen des Marktes sich das Label durchsetzen wird. In jedem Fall tun Stahlverarbeiter gut daran, sich intensiv mit den Feinheiten der CO2-Bilanzierung von Stahl zu beschäftigen.
Der Preisanstieg am Spotmarkt für Flachprodukte fiel zu Beginn dieses Jahres schwächer aus als im Vorjahr. Zugleich war die Aufwärtsbewegung von kürzerer Dauer. Schon seit Februar ist eine neue Kehrtwende zu beobachten und aktuell weist der Preistrend klar nach unten. Neben der schwachen Nachfrage sind auch wieder fallende Rohstoffkosten ein Treiber der Entwicklung. Es sieht so aus, als ob Spotmarkt-Käufer in diesem Jahr erneut besser abschneiden werden als Stahlverbraucher mit Jahresverträgen. Dies dürfte bei Stahlverarbeitern mit Vertragspreisen Fragen aufwerfen.
Seit Oktober 2023 läuft die Einführungsphase für das neu geschaffene CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) der EU. EU-Importeure der betroffenen Erzeugnisse sollen bis zum 31. Januar 2024 den ersten „CBAM-Report“ abgeben, mit dem die CO2-Emissionen der Waren der EU-Kommission zu berichten sind. In einem ersten Zwischenfazit muss man zu dem Schluss kommen, dass die Einführung des Systems – insbesondere in Deutschland – einem kapitalen Fehlstart gleicht. Während die Politik die dringende Notwendigkeit betont, überbordende Bürokratie in den Unternehmen abzubauen, sind dort Heerscharen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern damit beschäftigt, sich im Dschungel der CBAM-Vorgaben zurechtzufinden.