Stahlmarkt Consult Blog
Flachstahlmarkt: Fallende Rohstoffkosten erhöhen Preisdruck
Der Preisanstieg am Spotmarkt für Flachprodukte fiel zu Beginn dieses Jahres schwächer aus als im Vorjahr. Zugleich war die Aufwärtsbewegung von kürzerer Dauer. Schon seit Februar ist eine neue Kehrtwende zu beobachten und aktuell weist der Preistrend klar nach unten. Neben der schwachen Nachfrage sind auch wieder fallende Rohstoffkosten ein Treiber der Entwicklung. Es sieht so aus, als ob Spotmarkt-Käufer in diesem Jahr erneut besser abschneiden werden als Stahlverbraucher mit Jahresverträgen. Dies dürfte bei Stahlverarbeitern mit Vertragspreisen Fragen aufwerfen.
Preisanstieg nur von kurzer Dauer
Es ist für den Stahlmarkt typisch, dass die Preise zu Beginn eines Jahres ansteigen. Grund dafür sind in erster Linie lagezyklische Effekte. Am Jahresbeginn werden oft Bestände erhöht, was die Nachfrage über den realen Bedarf steigen lässt. Auch die für die Stahlerzeugung wichtigen Rohstoffpreise wiesen in den vergangenen Jahren oft ein saisonales Muster auf. Höhere Preise im Winterhalbjahr waren regelmäßig eine Stütze der Stahlpreise.
Dieses Muster war am Flachstahlmarkt auch in diesem Jahr zu erkennen. Die Spotmarktpreise für das Referenzprodukt Warmbreitband sind zwischen Oktober und Februar um ca. 120,- €/t gestiegen. Allerdings setzte zu einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt eine neue Abwärtsbewegung ein. Seit Anfang Februar sind die Preise in vielen Fällen schon wieder um ca. 60,- €/t gefallen. Aktuell weist der Trend weiter nach unten.
Im vorigen Winter war die Aufwärtsbewegung noch deutlich stärker ausgeprägt. Der Preisanstieg begann etwas später im Dezember 2022, fiel aber mit etwas mehr als 200,- €/t deutlich kräftiger aus und hielt bis zum April 2023 an.
Der wichtigste Grund für die unterschiedliche Entwicklung liegt auf der Nachfrageseite. Obwohl im vergangenen Jahr auf Seiten des Stahlhandels und der Industrie die Stahlbestände stark reduziert worden waren, hielt sich die Gegenbewegung am Jahresbeginn 2024 in engen Grenzen. Höhere Finanzierungskosten, eine schwache Entwicklung des konjunkturbedingten realen Stahlbedarfs und insgesamt eine hohe Unsicherheit haben dazu geführt, dass die meisten Marktteilnehmer vor größeren Bestandseindeckungen zurückgeschreckt sind. Hoffnungen auf der Herstellerseite, das positive Lagereffekte das trübe Konjunkturbild überdecken könnten, haben sich augenscheinlich nicht erfüllt. Im Unterschied zum Vorjahr kommen auch aus der Automobilindustrie keine nennenswerten Bedarfszuwächse mehr.
Niedrigere Rohstoffkosten erhöhen den Preisdruck
In der aktuellen Marktphase einer schwachen Nachfrage kommt der Entwicklung der Rohstoffkosten eine hervorgehobene Bedeutung für die Stahlpreisentwicklung zu. So hatte im Herbst 2023 ein kräftiger Anstieg der Rohstoffkosten den nachfolgenden Anstieg der Stahlpreise wesentlich mitgetragen. Nun bröckelt diese Stütze aber wieder. Die für die Hochofenroute maßgeblichen Rohstoffpreise sind in den vergangenen Wochen deutlich gefallen. Der Referenzpreis für Eisenerz liegt aktuell um mehr als 25% unter dem Stand vom Jahresanfang. Auch die Preise für Kokskohle zeigen deutliche Rückgänge und sind seit Jahresbeginn um fast 20% gefallen.
Wie das StahlmarktConsult-Kostenmodell zeigt, erreichten die Rohstoffkosten der Hochofenroute ihren höchsten Stand im Januar. Nachdem bereits im Februar ein Rückgang um fast 20,- €/t zu beobachten war, zeichnet sich für den März-Mittelwert ein weiteres Minus von mehr als 30,- €/t ab. Auf Basis der tagesaktuellen Notierungen ergibt sich gegenüber Januar sogar ein Rückgang um fast 70,- €/t. Damit ist der niedrigste Stand seit August 2023 erreicht. Diese Entwicklung verstärkt weltweit den Druck auf die Stahlpreise.
Die Preise für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel liegen derzeit bei knapp 60,- €, während vor einem Jahr noch fast 100,- € zu bezahlen waren. Auch die Großhandelspreise für Energie haben sich im Winter entgegen mancher Erwartung nicht maßgeblich erhöht. Vielmehr haben sich die relevanten Börsennotierungen auf dem Niveau von Mitte 2021 eingependelt. Damit haben auf europäischer Ebene weitere Kostentreiber der Jahre 2022 und 2023 erheblich an Kraft verloren.
Spotmarktkäufer im Vorteil?
Die aktuelle Marktentwicklung hat interessante Implikationen für die Unterschiede zwischen Spotmarkt- und Vertragsgeschäft. Viele Stahlverarbeiter vor allem im Bereich der Automobilindustrie schließen Halbjahres- oder Jahresverträge mit festen Preisen ab. Hier hat sich als Folge der Versorgungskrise des Jahres 2021 und der zwischenzeitlichen Energiekostenexplosion eine gewisse Entkopplung vom Spotmarkt eingestellt. Während sich die Änderungen der Vertragspreise in früheren Zeiten relativ eng an der Sportmarktentwicklung orientiert haben, hat sich seit 2022 ein gewisses Premium herausgebildet, das in erster Linie als Aufschlag für die Versorgungssicherheit interpretiert werden konnte. Auch in Verträgen für das Jahr 2024 ist es den Stahlherstellern trotz einer geänderten Marktsituation überwiegend gelungen, Vertragspreise weniger stark zu senken als es aus einer rein spotmarktbasierten Preisbetrachtung abzuleiten war. Der bis Januar sichtbare Preisanstieg am Spotmarkt hat dies begünstigt.
Der nur relativ schwache und kurze Aufschwung am Spotmarkt in diesem Jahr könnte nun dazu führen, dass die Spotmarktpreise in vielen Fällen über weite Strecken des Jahres deutlich unter den Vertragspreisen liegen werden. Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass die Preise am Spotmarkt in bestimmten Marktphasen einen vorübergehenden Vorteil haben können. Ebenso ist es legitim, auf die sachlichen Unterschiede zwischen Spotmarkt- und Vertragsgeschäft hinzuweisen. Trotzdem dürfte es bei Vertragskunden Fragen aufwerfen, wenn sie – wie bereits über weite Strecken des Jahres 2023 – in diesem Jahr erneut schlechter abschneiden als Spotmarktkäufer. Immerhin sind Vertragspreise oft mit größeren Mengen verbunden, woraus sich die Erwartung von gewissen Preisvorteilen ableiten lässt. Zudem spielen öffentlich verfügbare Spotmarktpreise nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Preistransparenz am Stahlmarkt und für Preisgestaltungen entlang der Wertschöpfungskette Stahl. Weichen Vertragspreise über längere Zeit zu stark ab, stellt dies viele Marktteilnehmer vor erhebliche Herausforderungen.
© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.