Stahlmarkt Consult Blog
Flachstahlpreise: die Luft wird jetzt dünner
Nachdem am Spotmarkt die Flachstahlpreise in den vergangenen Wochen spürbar gestiegen sind, dürfte die Luft für einen weiteren Anstieg jetzt dünner werden. Denn am Jahresanfang hat die Auffüllung der zuvor leergeräumten Bestände die Stahlnachfrage kräftig unterstützt. Ein Effekt, der jetzt schwächer wird. Mit dem Coronavirus ist ein neuer Unsicherheitsfaktor hinzugekommen, der die Einschätzung der weiteren Entwicklung erschwert. Bei aller Unsicherheit sieht es derzeit so aus, dass die Preise im zweiten Quartal sukzessive wieder sinken könnten.
Am deutschen Spotmarkt sind die Flachstahlpreise seit dem im November 2019 erreichten Tiefpunkt spürbar gestiegen. Ein Mix aus Produktionskürzungen der Werke, verbesserter Nachfrage und schwachem Importwettbewerb hat den Preisanstieg getragen. Nachdem die im Januar verkündeten Preisziele weitgehend erreicht werden konnten, dürfte die Luft für weitere Erhöhungen nun dünner werden.
Am wichtigsten für die weitere Preisentwicklung und zugleich am schwersten einzuschätzen ist die Nachfrageseite, zu deren Entwicklung am aktuellen Rand keine wirklich belastbaren Daten vorliegen. Offenbar haben die Bestelleingänge der Werke am Jahresanfang gegenüber dem sehr schwachen zweiten Halbjahr 2019 zugelegt. Vor dem Hintergrund einer deutlich reduzierten Erzeugung und sinkender Drittlandimporte hat dies am EU-Markt zu einer Verengung der Angebots-Nachfrage-Relation geführt. Die Lieferzeiten der Werke haben sich vor allem bei feuerverzinkten Blechen spürbar verlängert und reichen nun häufig bis Juni. Bei diesem Erzeugnis ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass wichtige asiatische Lieferländer die unter dem EU-Schutzmaßnahmen-Regime bis zum 30.06. zugeteilten zollfreien Importkontingente bereits in hohem Maße ausgeschöpft haben.
Allerdings kann keine verlässliche Aussage dazu getroffen werden, welchen Anteil höhere Bedarfe an der Nachfragebelebung haben. Gerade mit Blick auf den Automotivebereich fallen die Einschätzungen der Unternehmen dazu unterschiedlich aus. Einiges spricht dafür, dass es sich überwiegend um lagerzyklische Effekte vor dem Hintergrund der zum Jahresende erreichten niedrigen Bestände handelte. Am Jahresanfang dürften Marktteilnehmer aus Handel und Industrie auf einem relativ niedrigen Preisniveau in erheblichem Umfang Lagerergänzungen vorgenommen haben. Dagegen scheinen nun zu höheren Preisen nur noch geringere Mengen gebucht werden. Die Bereitschaft zu größeren Eindeckungen scheint angesichts der verhaltenen Konjunktur und der hohen Unsicherheit nachgelassen zu haben.
Beim Stichwort „Unsicherheit“ kommt unweigerlich der Coronavirus ins Spiel. Der Virus betrifft entlang der supply chain sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite nicht nur des asiatischen Marktes, sondern in ersten Zügen auch in der EU. Betroffen ist jeweils nicht nur die Produktion, sondern angesichts der logistischen Herausforderungen und Verkettungen auch die Transport- und Lieferfähigkeit. Seriöse Prognosen über die Auswirkungen am Stahlmarkt lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht treffen, da Dauer und Ausmaß der Epidemie nicht bekannt sind.
Zweifellos stellt der Virus eine ernsthafte Bedrohung für die gerade erst begonnene Stabilisierung der Industriekonjunktur dar. Waren die Chancen für einen nachhaltig höheren Stahlbedarf in diesem Jahr schon vorher gering, sind sie jetzt noch einmal kleiner geworden. Wegen der Störungen in den globalen Wertschöpfungsketten sind die kurzfristigen Konjunkturrisiken für den deutschen Automobil- und Maschinenbau gestiegen. Andererseits haben wegen der engen industriellen Verflechtung zum Beispiel mit Norditalien auch die Sorgen über die Lieferfähigkeit von Vormateriallieferanten zugenommen. Über konkrete Beeinträchtigungen ist allerdings noch nicht bekannt geworden.
Unabhängig von den konkreten Folgen des Virus ist die Unsicherheit groß. Dies führt bei den Akteuren zu einem „Fahren auf Sicht“. Weitere Lageraufstockungen in größerem Umfang sind daher erst einmal nicht mehr zu erwarten. Die Stahlnachfrage dürfte in den kommenden Wochen nachlassen, solange es nicht zu unvorhergesehenen Ereignissen kommt.
Nach ersten Schätzungen ist der Stahlverbrauch in China in den vergangenen Wochen drastisch eingebrochen und die Bestände sind deutlich angestiegen. Am Inlandsmarkt sind die Warmbreitbandpreise um ca. 50,- $/t gefallen. Sofern die logistischen Einschränkungen dies zulassen, rechnen viele Marktbeobachter mit steigenden chinesischen Stahlexporten. Dies könnte die Preise am asiatischen Markt, die in den vergangenen Wochen bereits gefallen sind, weiter unter Druck setzen mit entsprechenden Folgen am EU-Importmarkt.
An den Rohstoffmärkten schlägt sich die gestiegene Nervosität in Preisschwankungen nieder. Sowohl am Schrott- als auch am Eisenerzmarkt haben die Preise zwischenzeitlich deutlich nachgegeben, konnten sich dann aber wieder ein Stück weit erholen.
Das stärkste Argument der Werke sind derzeit noch die teilweise deutlich verlängerten Lieferzeiten. Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Stahlproduktion in Deutschland und in der EU im Januar um ca. 10% unter dem Vorjahresmonat lag. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl ist die für die Marktversorgung wichtigere Walzstahlerzeugung aber nur um knapp 4% gefallen. Die Erfahrung lässt erwarten, dass die Werke in den kommenden Monaten angesichts besserer Verdienstmöglichkeiten den Tritt auf das Bremspedal wieder ein Stück weit lockern werden.
Bei aller Unsicherheit sieht es derzeit so aus, als ob die Aufwärtsbewegung der Flachstahlpreise vielleicht noch nicht ganz beendet ist. Insbesondere bei verzinkten Blechen könnten die Preise in den kommenden Wochen nochmals spürbar steigen. Aus heutiger Sicht werden aber im zweiten Quartal eine nachlassende Nachfrage und zunehmender Importwettbewerb dazu führen, dass die Preise bei vielen Stahlerzeugnissen sukzessive wieder sinken.