Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

"Grüne" Stahlhersteller am Tropf des Staates?

Mit Förderbescheiden über 1 Mrd. € an die Salzgitter AG hat in Deutschland die großflächige staatliche Unterstützung der grünen Transformation der Stahlindustrie begonnen. Vieles spricht dafür, dass die Branche in der EU in ein neues, lang andauerndes Subventions-Zeitalter eintritt. Eine aus privaten Mitteln finanzierte grüne Stahlindustrie scheint derzeit nur in Nordeuropa machbar. Ob in Deutschland jemals eine auf eigenen Füßen stehende, grüne und international wettbewerbsfähige Stahlindustrie erreicht werden kann, ist offen. Die breite öffentliche Finanzierung ist zwar aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, aus volkswirtschaftlicher Sicht aber fragwürdig. Die Vorstellung, bisherige Stahlstandorte mit etwas Anschubfinanzierung zu Vorreitern der neuen grünen Zeit zu machen, scheint naiv. Eine ehrliche Diskussion über die Zukunftsperspektiven unter geänderten Bedingungen ist erforderlich. Dabei müssen auch die Belange der Stahlverarbeiter berücksichtigt werden, die in der Diskussion viel zu kurz kommen.       

Aufgrund ihrer Stellung als Grundstofflieferant für nachgelagerte Industrien und der hohen Bedeutung großer Stahl-Standorte für einzelne Regionen war die Nähe zur Politik in der Stahlindustrie immer größer als in anderen Industrien. Sichtbares Zeugnis auf EU-Ebene war die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1952 bis 2002). Lange Zeit kämpfte die deutsche Stahlindustrie aus einer starken Stellung heraus auf EU-Ebene für eine strikte Anwendung geltender Anti-Subventionsregeln. Das Bekenntnis zum freien Markt ist mit der Zeit schwächer geworden. In den vergangenen Jahren setzten sich zunächst protektionistische Tendenzen durch. Keine Branche ist stärker gegen Einfuhren aus Drittländern geschützt als die Stahlindustrie. Im Zuge der politisch verordneten grünen Transformation wurden dann die Rufe nach direkter staatlicher Hilfe immer lauter, oft verbunden mit der Forderung nach einer „flexiblen“ Handhabung der Brüsseler Beihilferegeln.    

Kein grüner Stahl ohne Subventionen?

Und der Staat liefert. Am 18.04.2023 wurden der Salzgitter AG Förderbescheide über rund 700 Mio. € aus Bundesmitteln und 300 Mio. € aus Landesmitteln für die erste Ausbaustufe des Dekarbonisierungsprojektes SALCOS überreicht. Das Unternehmen steuert eigene Mittel in ungefähr gleicher Höhe bei. Hiermit soll bis Ende 2025 eine Rohstahlkapazität von 1,9 Mio. Tonnen auf eine CO2-arme Erzeugung umgestellt werden. ThyssenKrupp stellt seine eigenen Investitionen in den grünen Umbau unter den Vorbehalt einer Förderung durch die öffentliche Hand und hofft dem Vernehmen nach unter anderem auf die größte jemals gezahlte Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Saarhütten wollen insgesamt 3,5 Mrd. € investieren - unter dem Vorbehalt der öffentlichen Förderung. Der europäische Marktführer ArcelorMittal, der in Deutschland Hochöfen in Bremen und Eisenhüttenstadt betreibt und in den vergangenen beiden Geschäftsjahren ein EBITDA von mehr als 33 Mrd. $ erwirtschaftete, macht keinen Hehl daraus, dass anstehende Investitionen auch nach dem Kriterium der öffentlichen Förderung auf die europäischen Standorte verteilt werden. Spanien und Belgien scheinen derzeit vorne zu liegen.

Es ist klar: Bei allen deutschen Hochofenstandorten werden neue Anlagen mit erheblicher öffentlicher Förderung gebaut werden. In vielen anderen EU-Ländern sieht es genauso aus. Dass es auch anders geht, zeigt der Blick in den Norden: Das Greenfield-Projekt „H2 Green Steel“, das in Nordschweden bis 2030 eine wasserstoffbasierte Stahlerzeugungskapazität von 5 Mio. Tonnen aufbauen will, wird aus privaten Mitteln finanziert. Auch deutsche Stahlabnehmer tragen zur Finanzierung bei. Mit „Blastr“ steht ein weiteres privat finanziertes Start-Up in der Prüfungsphase. Und der traditionelle schwedische Stahlhersteller SSAB liegt, ebenfalls ohne bekannte öffentliche Förderung, weit vorne mit seinen Umbauplänen. Interessanterweise scheint das Unternehmen nun die frühere deutsche Rolle des Rufers nach fairen Wettbewerbsbedingungen zu übernehmen. In einer aktuellen Präsentation wird das vielbeschworene „level playing field“ gefordert: „EU competition recieving billions in state aid to invest in existing technology…“ heißt es dort. Auch zahlreiche der in Regel kleineren Elektrostahlwerke, die schon heute einen deutlich günstigeren CO2-Fußabdruck aufweisen, finanzieren die weitere Optimierung aus eigenen Mitteln.   

Förderung aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, volkswirtschaftlich fragwürdig

Den Stahlherstellern ist es nicht vorzuwerfen, dass sie die große politische Bereitschaft zur Förderung von „Leuchtturmprojekten“ nutzen. Schließlich erzwingt der EU-Sonderweg einer Dekarbonisierung mit der Brechstange erhebliche Investitionen innerhalb von wenigen Jahren. Hochofenbasierte Hersteller stehen vor enormen Herausforderungen. Zudem liegen zentrale Randbedingungen für den möglichen künftigen Ertrag weitgehend im Dunkeln. Wann und zu welchem Preis wird grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen? Welchen Strompreis zahlt die Industrie im Jahr 2030? Wie schnell wird sich grüner Stahl am Markt durchsetzen? Auf keine dieser Fragen gibt es heute eine verlässliche Antwort.

Trotzdem ist die sich abzeichnende Förderung der bestehenden Hochofenstandorte aus volkswirtschaftlicher Sicht mehr als fragwürdig. Denn bei den geförderten Direktreduktionsanlagen und Elektrostahlwerken handelt es sich in der Tat nicht um neue Technologien, lediglich der angestrebte Betrieb mit Wasserstoff ist neu. Es macht wenig Sinn den nötigen technologischen Sprung zur breiten industriellen Anwendung an vielen Standorten parallel zu fördern. Zudem sollte es stutzig machen, dass die wasserstoffbasierte Stahlerzeugung auf internationaler Ebene nach allen vorliegenden Szenarien noch für lange Zeit eine Nische bleiben wird.

Wichtiger ist aber: Nicht ohne Grund ist die Bereitschaft für private Investitionen in einigen EU-Ländern größer als in anderen. Die optimalen Standortbedingungen für eine wasserstoffbasierte Stahlerzeugung unterscheiden sich fundamental von denen der konventionellen hochofenbasierten Erzeugung. Über allem steht die Verfügbarkeit von grüner Energie und daraus abgeleitet von grünem Wasserstoff zu auch international wettbewerbsfähigen Preisen. Dass diese Bedingung in Deutschland jemals erfüllt sein wird, ist heute nicht mehr als eine vage Hoffnung.

Aus heutiger Sicht ist die Gefahr einer Dauer-Subventionierung, sei es direkt der einzelnen Unternehmen oder indirekt über die Energiepreise, sehr groß. Die Vorstellung, bisherige Stahlstandorte mit etwas Anschubfinanzierung zu Vorreitern der neuen grünen Zeit zu machen, scheint naiv. Eine ehrliche Diskussion darüber, welche Standorte unter den geänderten Bedingungen aus eigener Kraft zukunftsfähig sind, ist dringend erforderlich. Wie lange und nach welchen Kriterien soll die staatliche Unterstützung laufen? Und wenn aus politisch-strategischen Gründen eine dauerhafte staatliche Unterstützung erforderlich ist oder für nötig gehalten wird, sollte dies auch klar kommuniziert werden.     

Nicht zuletzt ist vollkommen unklar, bis zu welchem Zeitpunkt mit den geplanten Investitionen welche Menge an CO2-eingespart werden soll. Vieles spricht dafür, dass neue Direktreduktionsanlagen zunächst in erheblichem Maße nicht wasserstoff-, sondern erdgasbasiert betrieben werden. Solange dies so ist, wird die theoretisch realisierbare CO2-Einsparung praktisch auf halbem Wege stehen bleiben.     

Fokussierung auf Hersteller greift zu kurz

Während die Förderung der Anlageninvestitionen anläuft, zeichnen sich schon weitere Fördermaßnahmen ab. Denn auch der Betrieb der Anlagen soll mit milliardenschweren Hilfen unterstützt werden, da nach einer gängigen Argumentation der Einsatz des klimaneutralen Wasserstoffs zu deutlich höheren Kosten führen wird. Diese sollen zum Beispiel mit sogenannten „Differenzverträgen“ ausgeglichen werden. Auch Verwendungsquoten für als grün deklarierte Stahlerzeugnisse scheinen nicht mehr allzu weit entfernt.

Wie so oft konzentrieren sich damit Fördermaßnahmen auf wenige große Hersteller, während die Situation der nachgelagerten Wertschöpfungskette kaum beachtet wird. Allenfalls der Hinweis, durch grünen Stahl werde das Auto oder die Waschmaschine nur wenig teurer, ist zu lesen. Doch nicht nur die hinter solchen Aussagen stehende Kostenkalkulation ist wenig belastbar. Bevor der Stahl im Auto ankommt, ist er oft durch die Hände von Schmieden, Kaltwalzern, Blechumformern, Federnherstellern und Systemlieferanten gegangen, um nur einige Beispiele zu nennen. Wo in dieser vielteiligen Kette die erwarteten Mehrkosten hängen bleiben, wird viel zu wenig diskutiert. Mittelständische Stahlverarbeiter werden schon heute mit hohen Mehrpreisforderungen für grünen Stahl konfrontiert, während sich die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden in Grenzen hält. Sie fragen sich, was von der großzügigen Förderung der Stahlerzeuger bei ihnen ankommt.

Stahl, ob konventionell oder grün, wird in der EU spätestens gegen Ende dieses Jahrzehnts deutlich teurer. Wie dann die internationale Wettbewerbsfähigkeit von stahlintensiven Erzeugnissen erhalten bleiben soll, ist vollkommen unklar. Für exportorientierte Unternehmen ist dies eine Überlebensfrage. Die schon heute diskutierte Abwanderung von energie- und grundstoffintensiven Unternehmen könnte einen weiteren Schub erhalten, wenn dazu keine Lösungen gefunden werden. Wenn aber die Abnehmer nicht mehr da sind, wird auch die großzügigste Unterstützung der Hersteller in die Leere laufen. 

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.

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