Stahlmarkt Consult Blog
Zunehmender Druck lässt Spotmarktpreise fallen
Am deutschen Spotmarkt sind Preise für Flachstahl im 1. Quartal – auch aufgrund von Sondereinflüssen - unerwartet stark gestiegen. In den vergangenen Wochen hat aber eine Kehrtwende eingesetzt. Im Mai sind die Abwärtskräfte stärker geworden, so dass in den kommenden Wochen mit weiteren Preisrückgängen gerechnet werden kann. Die Preise für baunahe Langprodukte, die schon unter dem Stand vom Jahresanfang liegen, stehen ebenso unter Druck. Die Aussichten für das zweite Halbjahr sind aus Herstellersicht bescheiden.
Flachprodukte: Preisstützende Faktoren sind ins Wanken geraten
Nach dem Preisverfall im zweiten Halbjahr 2022 sind die Spotmarktpreise für Flachprodukte zwischen Dezember und April um mehr als 200,- €/t gestiegen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat die Nachfrage nach einer längeren Schwächeperiode im Auftaktquartal wieder zugelegt. Dahinter standen gute Bedarfe aus der Automobilindustrie und der zuvor vollzogene Lagerabbau in weiten Teilen der Industrie. Die Stahlbestellungen entsprachen dadurch wieder mehr dem tatsächlichen Bedarf. Allerdings blieb die Nachfragebelebung hinter den Vorjahren zurück und ist schon im April wieder abgeflaut. Anders als in den Vorjahren ist auch kein großer Lageraufbau festzustellen. Zudem wird oft unterschätzt, dass mehr als ein Viertel der Flachstahllieferungen der EU-Werke in den Baubereich gehen. Von dort kommen in verschiedenen EU-Ländern Meldungen über drastische Nachfrageeinbrüche.
Die klassischen Rohstoffkosten der Stahlherstellung sind zwischen November und Februar um ca. 65,- €/t gestiegen, was vor allem auf einen neuerlichen Höhenflug der Preise für Kokskohle zurückzuführen war. Inzwischen ist es aber zu einer Korrektur gekommen. Im Mai haben die Rohstoffkosten den niedrigsten Stand seit Anfang 2021 erreicht.
Zusammen mit einer zunehmend negativen Marktentwicklung in China hat dies zu deutlichen Preisreduzierungen am asiatischen Markt geführt. Entsprechend war am EU-Importmarkt ein Preisverfall zu beobachten. Es gibt attraktive Importangebote aus einer Vielzahl von Ländern, die sich nicht nur auf einfache Güten beschränken. Der Abstand zu den Preisforderungen der EU-Werke hat sich in den vergangenen Wochen stark vergrößert. Ohne deutliche Preisrücknahmen droht EU-Herstellern der Verlust von Markanteilen.
Die EU-Flachstahlhersteller konnten sich diesen starken Abwärtskräften zunächst noch einigermaßen gut entgegenstemmen. Die antizipierte Erhöhung der Produktion kann nur zögerlich voran und wurde zudem durch unerwartete Produktionsausfälle bei wichtigen Werken gestört. Bei lieferfähigen Werken waren die Buchungen zudem ein Stück weit durch Umlenkungen von anderen Anbietern überzeichnet. Es ist wahrscheinlich, dass sich die technisch bedingten Engpässe in den kommenden Wochen weitgehend auflösen. Dies dürfte den Wettbewerb anfachen.
Zweifellos versuchen die Werke gerade auch mit Blick auf die Verhandlungen über neue Halbjahresverträge, einen Preisrutsch am Spotmarkt zu vermeiden. Trotzdem zeigt dort der Preistrend seit Mai klar nach unten. Im Juni könnte das mittlere Preisniveau vom Januar wieder erreicht werden.
Langprodukte: Schwache Bauwirtschaft als Haupttreiber
Im Bereich der Langprodukte, die überwiegend in baunahe Abnehmerbereiche geliefert werden, dominiert die schwache Nachfrage. Der Absatz des Handels liegt in vielen Fällen weit unter den schon bescheidenen Erwartungen. Mengenrückgänge um 20% gegenüber dem Vorjahr sind keine Seltenheit. In einer ähnlichen Größenordnung sind die Auftragseingänge des Bauhauptgewerbes gefallen. Im Wohnungsbau wird von einer regelrechten Schockstarre berichtet.
Auf der Kostenseite der Elektrostahlwerke sind die Schrottpreise nach einem zwischenzeitlichen Anstieg zuletzt wieder zurückgefallen. Die Großhandelspreise für Strom haben sich unerwartet günstig entwickelt und lagen im Mai auf dem niedrigsten Stand seit August 2021. Dadurch hat sich die Kostenkurve wieder nach unten verschoben.
Aus Erzeugersicht ist es ein Vorteil, dass die Produktion bei dieser Herstellroute flexibel an die Nachfrage angepasst werden kann. Die deutsche Erzeugung lag bis April um mehr als 12% unter dem Vorjahr. Dies dürfte noch stärkere Preisrückgänge verhindert haben. Auch die Tatsache, dass es im ersten Quartal anders als bei Flachprodukten nicht zu einem nennenswerten Preisanstieg gekommen ist, verringert das Potenzial für weitere Preisrückgänge.
Ausblick: Bescheidene Nachfrageperspektiven
In den vergangenen Wochen hat es eine Reihe von negativen Konjunkturmeldungen gegeben, die die Erwartung einer Belebung der Industrie im zweiten Halbjahr in Frage stellen. Die Aussichten werden nun vielfach pessimistischer eingeschätzt als noch im März. In der Bauindustrie ist keine Besserung in Sicht. Sehr wahrscheinlich wird die Stahlnachfrage im zweiten Halbjahr unter dem ersten Halbjahr liegen. Im Gesamtjahr dürfte das schon schwache Vorjahresniveau nochmals unterschritten werden.
In einem schwachen Marktumfeld gehen Preisimpulse erfahrungsgemäß oft von der Kostenseite aus. Hier ist es bei beiden Erzeugungsrouten wenig wahrscheinlich, dass die Spitzenwerte des ersten Quartals in diesem Jahr nochmals erreicht werden. Zwar können kurzzeitige Minizyklen nicht ausgeschlossen werden. Solange es in China nicht zu einer grundlegenden Wende kommt, werden die Rohstoffpreise aber mit einiger Wahrscheinlichkeit in der zweiten Jahreshälfte niedriger als im ersten Halbjahr ausfallen.
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