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Überkapazitäten am Stahlmarkt: Gekommen, um zu bleiben
Die heute bestehenden Überkapazitäten sind eines der Top-Themen am globalen und europäischen Stahlmarkt. Es besteht Einigkeit darin, dass sie eines der wichtigsten Probleme der Branche sind. Obwohl dies zunehmend breit und intensiv diskutiert wird, ist die Hoffnung auf eine baldige Lösung nicht groß. Es sieht so aus, dass der Markt noch viele Jahre lang von einem überschüssigen Angebot geprägt sein wird.
Unter anderen hat sich die OECD besonders des Themas angenommen. Das „OECD Steel Committee“, in dem sich halbjährlich Branchen-und Regierungsvertreter der wichtigsten Stahl-Nationen treffen, hat daraus ein Schwerpunktthema gemacht und führt fortlaufende Studien durch. Die auf dem letzten Treffen der Gruppe im Dezember 2013 präsentierten Erkenntnisse klingen für die Stahlhersteller wenig verheißungsvoll.
Aus den vorgelegten Präsentationen wird zunächst deutlich, dass das Ausmaß der Überkapazitäten nur schwer zu beziffern ist. Dies gilt erst recht auf der Ebene einzelner Länder oder Erzeugnisse. Schon die Zahl der Stahlwerke in China ist nicht verlässlich anzugeben. Vollständige, offizielle Daten zu den Erzeugungskapazitäten bei einzelnen Stahlprodukten liegen auf globaler Ebene nicht vor und sind auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen schwer zu realisieren. Zudem hängt die Berechnung von Überkapazitäten immer auch von Annahmen z.B. über künftige Nachfrage- und Produktionsentwicklungen, über die Umwandlungsrate vom Roh-zum Walzstahl oder über eine „gewünschte“ Normalauslastung ab.
Diese Schwierigkeiten erklären, dass die Überkapazitäten für die EU mal auf 40 Mio., mal auf 60 Mio. Tonnen beziffert werden. Auf globaler Ebene geht die OECD für das Jahr 2012 von Überkapazitäten in Höhe von ca. 540 Mio. Tonnen aus, davon ca. 200 Mio. Tonnen in China. Auch die EU und Russland sind stark betroffen, während das Problem in Nordamerika schwächer ausgeprägt ist. Andere Schätzungen legen die globalen Überkapazitäten eher bei 300 Mio. Tonnen an.
Unabhängig davon, welche Zahl im Einzelnen zutrifft – das Problem ist groß und es hat negative Folgen für die Stahlhersteller: Die von der OECD ausgewerteten Daten zeigen erwartungsgemäß, dass überschüssige Kapazitäten eng mit der Rentabilität in der Stahlindustrie verknüpft seien. Eine niedrige globale Kapazitätsauslastung führt in der Tendenz zu niedrigen Renditen in der Stahlindustrie. Diese hängen natürlich daneben auch von Faktoren wie Rohstoff-und Arbeitskosten, Marktzyklen und unternehmensspezifischen Faktoren ab. Dennoch ist ein klarer Zusammenhang zwischen Überkapazitäten auf der einen und operativen Renditen, Verschuldungsgrad und Investitionen auf der anderen Seite nachweisbar.
Die aktuelle finanzielle Performance der Branche ist nach Einschätzung der OECD schlechter als während der letzten Stahlkrise Ende der 1990er Jahre.
Nach Angaben der OECD sind die Kapazitäten im Zeitraum 2008 bis 2012 um 5,0% pro Jahr gestiegen, während die Nachfrage nur um 2,9% p.a. gewachsen ist. Gründe für den Kapazitätsüberschuss gibt es viele: Zu optimistische Nachfrageerwartungen in der vorigen Boomphase, Subventionen und Marktverzerrungen, der hohe Anteil von Staatsunternehmen in China und anderen Ländern, die im Vergleich zu anderen Branchen hohe Fragmentierung und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Stahlindustrie in vielen Ländern als strategische Schlüsselindustrie angesehen wird, bei der eine möglichst geringe Importabhängigkeit erwünscht ist.
Die Aussichten dafür, dass sich die Situation kurzfristig bessert, sind gering. Im Gegenteil: In den kommenden Jahren ist nur ein eher schwaches Wachstum der globalen Stahlnachfrage zu erwarten, während auf der anderen Seite weiter in neue Kapazitäten investiert wird. So ist es –je nach Szenario – denkbar, dass die Überkapazitäten bis 2020 noch auf 600 bis 700 Mio. Tonnen ansteigen werden. Nach einem Bericht des Wall Street Journal im Dezember 2013 kommen bis 2016 noch ca. 100 neue Stahlwerke mit einer geschätzten Kapazität von 350 Mio. Tonnen an den Markt. Neue Stahlwerke werden vor allem in Indien, in China, im Nahen Osten und in Südamerika entstehen. Viele Experten gehen davon aus, dass die globale Kapazitätsauslastung in den kommenden Jahren unter 75% und damit unter einer für die Rentabilität kritischen Schwelle liegen wird.
Nach einem geflügelten Wort ist es sehr leicht, in guten Zeiten ein neues Stahlwerk zu bauen, aber sehr schwer, in schlechten Zeiten ein Stahlwerk zu schließen. Aus Sicht eines einzelnen Stahlunternehmens ist ein solcher Schritt mit hohen eigenen Kosten verbunden, während (auch) die Wettbewerber davon profitieren. Zudem zeigen jüngste Erfahrungen in China und in der EU, dass ein Abbau von Kapazitäten aus politischen Gründen auch dann sehr schwer umzusetzen ist, wenn die erklärte Absicht dazu besteht.
Für Einkäufer und Anwender von Stahl ist dieser Befund nur in begrenztem Maße positiv. Zwar sprechen die weiterhin hohen Überkapazitäten dafür, dass die Wettbewerbsintensität und damit tendenziell auch der Preisdruck in der Stahlindustrie hoch bleiben werden. Dies gilt vor allem für Standardqualitäten. Eine dauerhaft schwache Ertragskraft gefährdet aber auf längere Sicht die Leistungs- und Innovationsfähigkeit auch der „stärkeren“ Stahlhersteller und kann sich so negativ auf die Lieferantenbasis auswirken. Zudem steigt die Gefahr von Handelskonflikten, die in der Einführung von Zöllen oder Mengenbeschränkungen münden können.
© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Nachdruck und Verwendung mit Quellenangabe ist erlaubt.