Stahlmarkt Consult Blog
Was bedeuten wieder niedrigere Energiepreise für den Stahlmarkt?
Die im August erreichten Spitzenpreise für Strom und Erdgas waren ein Schock für die Industrie. Mittlerweile ist aber eine deutliche Korrektur zu verzeichnen. Das aktuell an den Energiebörsen erreichte Preisniveau hatte im Sommer kaum ein Beobachter für möglich gehalten. Zudem nehmen die Entlastungspläne der Politik Kontur an. Für Stahlerzeuger bedeutet dies, dass der Energiekostendruck derzeit und womöglich auch in den kommenden Monaten schwächer ausfällt als antizipiert. Auf der anderen Seite könnte sich die Industriekonjunktur und damit die Stahlnachfrage zunächst besser als befürchtet entwickeln. Dagegen bleiben die grundsätzlichen Herausforderungen, die mit der Abkehr von russischem Erdgas einhergehen, massiv.
Börsenpreise für Energie fallen unerwartet deutlich
Die auf die Rekordwerte vom August folgende starke Abwärtsbewegung der Börsenpreise für Energie sind eine echte Überraschung. Bei Erdgas erreichten die Day-Ahead-Preise im Oktobermittel mit ca. 84,- €/MWh nur noch gut 1/3 des Augustwertes. Auch die Erdgas-Futures haben deutlich nachgegeben. Lag der Jahres-Preis für 2023 an der Börse EEX im August noch über 250,- €/MWh, so beträgt er aktuell "nur" ca. 130,- €/MWh.
Die Tagespreise für Strom erreichten im Oktobermittel mit ca. 155,- €/MWh den niedrigsten Stand seit Februar und sind gegenüber August um über 300,- €/MWh gefallen. Auch hier liegen die Futures für 2023 zwar deutlich über dem aktuellen Niveau, aber auch klar unter den Werten vom Spätsommer.
Die Werte der vergangenen Wochen sind nur eine Bestandsaufnahme, die nicht zuletzt von den ungewöhnlich hohen Temperaturen getragen wird. Vieles spricht dafür, dass die aktuellen Preise eine Übertreibung nach unten darstellen. Dies könnte allerdings umgekehrt für die Notierungen vom August sprechen, die vielen Konjunktureinschätzungen zugrunde liegen. So ging das im Oktober vorgelegte Gemeinschaftsgutachten der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute für 2023 noch von einem Strompreis von 510,- €/MWh und von einem Erdgaspreis von knapp 200,- €/MWh aus.
Nach den aktuellen Plänen der Regierung soll im Jahr 2023 sowohl für Verbraucher als auch für die Industrie eine Preisbremse für Energie eingeführt werden. Für die Industrie könnte für 70% des Vorjahresverbrauchs ein Preisdeckel von 130,- €/MWh für Strom und von 70,- €/MWh bei Erdgas gelten. Allerdings sind wichtige Fragen noch offen, wie z.B. die von den geförderten Unternehmen zu erfüllenden Bedingungen, eine mögliche Deckelung der Hilfen und das genaue Startdatum. Für eine Bewertung der Vorhaben ist es daher noch zu früh. Trotzdem sei der Hinweis erlaubt, dass die derzeit diskutierten Preisgrenzen dem Niveau aus dem Herbst 2021 entsprechen und somit sowohl für Bürger als auch für Unternehmen eine echte Entlastung bedeuten würden.
Kostendruck lässt nach
In einem früheren Beitrag dieses Blogs ist bereits auf die vielen Schwierigkeiten hingewiesen worden, die bei der Berechnung der Energiekosten in der Stahlerzeugung zu bewältigen sind. Unter anderem ist nicht klar, welche Relevanz Tages-Börsenpreise für einzelne Hersteller überhaupt haben. Klar ist aber: wer im August mit den hohen Börsenpreisen für Energie argumentiert hat, kann jetzt kaum mit dem Argument kommen, diese hätten für sein Unternehmen keine Relevanz. Klar ist auch, dass die wieder niedrigeren Energiepreise (in Verbindung mit einer anhaltend schwachen Nachfrage) den im Spätsommer am Spotmarkt verkündeten Stahlpreiserhöhungen den Wind aus den Segeln genommen haben.
Der verbreitete Rückgang der Spotmarktpreise für Stahl im Oktober war wesentlich auch durch den Rückgang der Energiepreise bedingt. Legt man die oben geschilderten kurzfristigen Börsenpreise zugrunde, dürften die strombedingten Herstellkosten der Elektrostahlwerke seit August um ca. 120,- €/t gefallen sein. Bei den Flachprodukten integrierter Hüttenwerke dürfte die Kostenentlastung seit August je nach Rechenmethodik zwischen 50,- und 80,- €/t liegen. Wichtig für Unternehmen mit Jahresverträgen ist, dass die Energiekosten aktuell wieder ungefähr auf dem Niveau vom Januar angekommen sind. Damit hat sich die Kostenkurve der Stahlherstellung wieder deutlich nach unten verschoben, zumal auch wichtige Rohstoffpreise klar gefallen sind.
Wie lange dieser Zustand noch anhält, ist kaum vorhersehbar. Wahrscheinlich ist, dass es in den Wintermonaten zu wieder deutlich höheren Energiepreisen und zu einer höheren Volatilität kommen wird. Die Preisentwicklung der kommenden Wochen definiert die Ausgangsbasis für 2023. Für die Marktpartner wird es eine der größten Herausforderungen sein, bei längerfristigen Preisvereinbarungen Lösungen für die nach wie vor gegebene Unsicherheit zu finden. Hierbei dürfte den finalen politischen Entscheidungen zur Ausgestaltung der Energiepreisbremsen eine große Bedeutung zukommen. Stahleinkäufer sollten neben den klassischen Rohstoffkosten auch die Energiekosten als Frühindikator im Auge behalten
Industriekonjunktur: Kurzfristige Aussichten zu düster eingeschätzt?
Nicht auszuschließen ist, dass die marktseitigen und politischen Entwicklungen der vergangenen Wochen auch Auswirkungen auf die Industriekonjunktur und damit auf die Stahlnachfrage haben werden. Denn der Absturz vieler Konjunkturindikatoren seit dem Sommer fußte in nicht geringem Umfang auf dem Schock der hohen Energiepreise. Sollte dieser jetzt doch nicht so stark ausfallen wie im Sommer angenommen und/oder durch politische Maßnahmen gedämpft werden, könnte sich die Konjunktur in den kommenden Monaten ebenfalls besser entwickeln als angenommen. Dies gilt erst recht für die Industrie, die auf einem rekordhohen Auftragsbestand sitzt. Die globalen Lieferengpässe nehmen allmählich ab. Generell dürften die Teile der Industrie, die nicht so stark auf den deutschen Markt angewiesen sind, relativ zu anderen Wirtschaftsbereichen wie dem Handel oder dem privaten Bau zunächst noch besser dastehen, zumal exportorientierte Unternehmen vom schwachen Euro profitieren.
Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes erreichte die Produktion im verarbeitenden Gewerbe im September den höchsten Stand seit März. Insbesondere in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern waren im Vergleich zum Vorjahr starke Zuwächse zu erkennen. Die Inlandsproduktion an PKW erreichte im September den höchsten Stand seit März 2021. Die Auftragseingänge der Industrie sind, allerdings von einem niedrigen Niveau ausgehend, zuletzt leicht gestiegen. In der Stahlindustrie liegt der Bestelleingang zwar immer noch auf niedrigem Niveau, erreichte im September aber immerhin den höchsten Wert seit März. Dies mag sich alles, wie die gefallenen Energiepreise, als flüchtige Bestandsaufnahme erweisen. Es könnte sich aber auch um Zeichen dafür handeln, dass die Lage besser als die Stimmung ist.
Gerade mit Blick auf die Preisverhandlungen für 2023 ist es daher wichtig, die Entwicklung der Angebots-Nachfrage-Balance genau zu beobachten. Dies gilt um so mehr, als die erniedrigten Energiepreise für die Betreiber von Hochöfen den Anreiz zur Aufrechterhaltung der Produktion mindern. Denn die entstehende Kuppelenergie, die intern und extern genutzt werden kann, ist nun weniger wert als vor einigen Wochen.
Nicht geändert haben sich die langfristigen Folgen der Abkehr von russischem Erdgas. Die Pläne der Regierung zur Schließung dieser Angebotslücken klingen wenig überzeugend. Auch aufgrund der EU-Klimaschutzpolitik wird Energie deutlich teurer bleiben als es die Industrie bis zum ersten Halbjahr 2021 gewohnt war. Die Kostennachteile im internationalen Wettbewerb werden größer. Und auch die größten Auftragsbestände werden in einigen Monaten abgearbeitet sein. Die Aussichten für 2023 sind in fast allen Regionen der Welt bescheiden. Selbst wenn die kommenden Monate vielleicht noch besser laufen als zunächst befürchtet, gibt es keinen Anlass zur Entwarnung.
© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.