Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Können sich die Vertragspreise für 2022 vom Spotmarkt entkoppeln?

Viele stahlverarbeitende Unternehmen beziehen ihren Stahl nicht am Spotmarkt zu Tagespreisen, sondern über Laufzeitverträge mit halbjährlicher oder jährlicher Preisfestsetzung. Die Preisänderungen im Vertragsgeschäft werden normalerweise von der Entwicklung des Spotmarktes seit der vorigen Preisvereinbarung und den Erwartungen für die folgende Vertragslaufzeit bestimmt. Während sich der Spotmarkt insbesondere bei Flachprodukten seit einigen Wochen schwach zeigt und die Preise fallen, haben sich die Preisforderungen für neue Kontrakte des Jahres 2022 nur wenig bewegt. Offenbar streben viele Stahlhersteller eine Entkopplung der Vertragspreise von aktuellen Spotmarktentwicklungen an. Wie überzeugend sind die dafür angeführten Gründe? 

Eine ungewöhnliche Situation
Am Spotmarkt sind die Preise für Standard-Flacherzeugnisse für Grundgüten gegenüber den im Sommer erreichten Höchstständen um ca. 200,- bis 250,- €/t gefallen. Ein erheblicher Teil des Rückgangs entfällt auf das laufende vierte Quartal. Die aktuellen Preise liegen noch um ca. 250,- bis 350,- €/t über den Werten vom Januar 2021.Wichtigster Grund dafür ist die akute Schwäche der Automobilindustrie, aber auch die insgesamt deutlich gefallene Nachfrage. In normalen Zeiten müssten als Folge dieser Entwicklung die Preise für neu abzuschließende Halbjahresverträge deutlich fallen, bei Jahresverträgen müssten die Ende Oktober kommunizierten ersten Preisforderungen mittlerweile entsprechend nach unten angepasst worden sein. Zu hören sind dagegen bei Jahresverträgen immer noch Forderungen nach Preiserhöhungen von teilweise mehr als 600,- €/t, die sich in den vergangenen Wochen nur wenig verändert haben. Bei Halbjahresverträgen wird in einigen Fällen immer noch über Erhöhungen verhandelt. Sofern überhaupt Preisreduzierungen angeboten werden, fallen diese deutlich niedriger aus als die Rückgänge am Spotmarkt.

Auch bei Walzdraht sind die Preise am Spotmarkt, der allerdings nicht für alle Gütensegmente wirklich relevant ist, seit dem Sommer gefallen. Der Rückgang ist mit ca. 50,- bis 70,- €/t bei einfachen Güten zwar bei weitem nicht so stark wie bei Flachprodukten. Dennoch ist es schwer nachvollziehbar, wenn auch bei diesem Erzeugnis selbst bei Halbjahresverträgen von Preisforderungen im dreistelligen Eurobereich gesprochen wird.

Energiekosten und Dekarbonisierung im Fokus
Die hohen Preisforderungen für Laufzeitverträge wurden Anfang November noch mit für das erste Quartal 2022 zu erwartenden wieder höheren Spotmarktpreisen begründet. Allerdings haben sich weder die hierfür angeführten Argumente bestätigt noch sind Anzeichen für eine kurzfristige Wende am Spotmarkt erkennbar. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes unterschritt der Bestelleingang der deutschen Stahlwerke im Zeitraum September/Oktober 2021 das Vorjahresniveau um 35%. Die Auftragspolster der Stahlwerke liegen zwar immer noch deutlich über dem langjährigen Mittel, sind seit dem Sommer aber deutlich geschmolzen. Ein breit angelegter Anstieg der Automobilproduktion wird überwiegend erst im zweiten Halbjahr 2022 erwartet. Die aus dem Handelsabkommen mit den USA zunächst abgeleiteten Nachfrageimpulse werden nur schwach ausfallen. Die Weltmarktpreise fallen, so dass auch der Importdruck in der EU hoch bleiben wird. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Stahlpreise im Mittel des kommenden Jahres noch einmal das Niveau von 2021 erreichen werden. Damit stehen die aktuellen Preisforderungen für Laufzeitverträge insgesamt auf schwachen Füßen.

Eigentlich können nur noch eingetretene oder erwartete Kostensteigerungen zur Begründung herangzeogen werden. Im Fokus stehen dabei zum einen die Energiekosten. Die in diesem Jahr stark gestiegenen Preise für Strom und Gas verteuern ohne Zweifel die Stahlherstellung. Bei Elektrostahlwerken schlagen besonders die stark erhöhten Stromkosten zu Buche. Dagegen werden von integrierten Hüttenwerken stärker die Gaspreise und die ebenfalls stark gestiegenen Preisen für CO2-Emissionszertifikate genannt. In beiden Fällen ist es allerdings kaum möglich, das konkrete Ausmaß dieses Anstiegs festzustellen. Die faktischen Energiekosten hängen stark von den teils weit auseinander liegenden spezifischen Energieverbräuchen und von der individuellen Beschaffungsstrategie ab. Der ganz überwiegende Teil der Emissionszertifikate wird nach wie vor kostenfrei zugeteilt. Zudem sind die Zertifikate frei handelbar und konnten bereits zu niedrigeren Preisen auch für die kommenden Jahre erworben werden.

Schon die große Spanne zwischen der tatsächlichen Mehrkosten der einzelnen Stahlhersteller und die fehlende Transparenz im Einzelfall erschweren die Preisverhandlungen. Dazu kommt, dass die isolierte Betrachtung einzelner Kostenbestandteile wenig zielführend ist. Immerhin haben sich die Stahlpreise in diesem Jahr so weit wie nie zuvor von den klassischen Rohstoffkosten entfernt und die Margen der meisten Hersteller sind außerordentlich hoch. Davon unbenommen bleibt die Feststellung, dass die Stahlindustrie zur Bewältigung der anstehenden Dekarbonisierung erhebliche Investitionen tätigen muss. Die Diskussion darüber, von wem diese Aufwendungen zu tragen sind, steht erst am Anfang. Aus diesen Gründen ziehen sich die Verhandlungen über die Preisveränderungen bei Laufzeitverträgen in die Länge.

Akzeptanz in der Wertschöpfungskette entscheidend
Angesichts der drastischen Verteuerung von Stahl in den vergangenen zwölf Monaten ist für die oft mehrteilige Wertschöpfungskette Stahl nicht unbedingt die Höhe der absoluten Preisveränderung entscheidend, sondern die Frage, inwieweit Erhöhungen jeweils an die nächste Stufe weitergereicht werden können. Kein mittelständischer Stahlverarbeiter ist in der Lage, einen Preisanstieg von mehreren hundert Euro alleine zu schultern. Dies führt dazu, dass sehr viele Unternehmen auf Pilotabschlüsse der OEM ´s warten, die am Ende der Kette stehen. Angesichts der in vielen Fällen bereits angespannten Ertrags- und Liquiditätslage können Preissteigerungen auf der Einkaufsseite nur in dem Maße akzeptiert werden, in dem auch die Kunden sie mittragen.

Wenn Preise für Vertragskunden zu stark von aktuellen Spotmarktnotierungen abweichen, ist dies nicht nur sachlich schwer zu rechtfertigen, sondern es stellt auch die breite Akzeptanz für Kostensteigerungen entlang der Wertschöpfungskette in Frage. Zudem besteht die Gefahr, das Mengen aus dem Vertragsgeschäft genommen und am Spotmarkt platziert werden. Die schon jetzt gegebene Problematik der kaum zuverlässig planbaren Mengenabrufe würde sich damit noch verstärken. Daher dürfte ein zu starkes Auseinanderklaffen nicht durchsetzbar sein. Vertragspreise müssen in das aktuelle Marktumfeld passen, sonst sind sie nicht vermittelbar. Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich das Marktumfeld in fast allen Segmenten des Stahlmarktes seit der Jahresmitte zugunsten der Verbraucher verändert hat.  Davon unabhängig gilt es, Lösungen für die bevorstehende Transformation der Stahlindustrie zu finden. Daher sind die laufenden Vertragsverhandlungen die schwierigsten aller Zeiten. Auf die Ergebnisse, die wahrscheinlich ab Januar vorliegen werden, darf man gespannt sein.

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.

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