Stahlmarkt Consult Blog
US-EU-Stahlhandelsabkommen: Kein Booster für EU-Stahlexporte
Die USA und die EU haben sich Ende Oktober auf ein Stahlhandelsabkommen geeignet. Die Neuregelung löst ab Januar 2022 die seit 2018 für Stahlexporte aus der EU in die USA geltenden „Section 232“- Maßnahmen ab. Für die Stahlindustrie der EU ergeben sich zweifellos Verbesserungen. Erwartungen an eine deutliche Exportsteigerung oder gar an einen kurzfristigen Exportboost, der am EU-Markt für neue Knappheiten sorgen könnte, sind aber übertrieben. Grund dafür sind nicht nur die Detailregelungen des Abkommens, sondern auch die aktuell schon erreichten Exportmengen und allgemeine Trends im Stahlaußenhandel der EU.
Was wurde vereinbart?
Seit 2018 galt für EU-Stahlexporte in die USA ab der ersten Tonne ein Importzoll in Höhe von 25%, von dem US-Importeure allerdings im Rahmen einer zu beantragenden Ausnahmegenehmigung befreit werden konnten. Ab dem 1. Januar 2022 tritt stattdessen ein „Tarif-Quota-System“ in Kraft, nach dem insgesamt 3,5 Mio. Tonnen pro Jahr zollfrei geliefert werden können. Sobald diese Menge überschritten wird, ist weiterhin ein Zoll von 25% fällig. Das zollfrei gestellte Volumen entspricht den mittleren Liefermengen der Jahre 2015 bis 2017. Die Gesamtmenge wird entsprechend dieser historischen Lieferungen auf die einzelnen EU-Mitglieder und auf 54 einbezogene Stahlerzeugnisse verteilt. Die Jahresmenge wird auf einzelne Quartale aufgeteilt, wobei nicht genutzte Mengen in Grenzen auf Folgequartale verschoben werden können. Zusätzlich wurde festgelegt, dass unter dem alten Regime erteilte Ausnahmegenehmigungen bis Ende 2023 weiter gelten. Das davon betroffene EU-Liefervolumen wird auf 1,1 Mio. Tonnen beziffert.
Welche Folgen sind zu erwarten?
Einige EU-Werke kommunizieren ebenso wie manche Experten, dass das Abkommen zu einer deutlichen Exportsteigerung aus der EU in die USA führen werde. Dieser Materialabfluss könne zu einer neuerlichen Angebotsverengung in der EU führen. Dies wird teilweise sogar zur Begründung von für das 1. Quartal 2022 angestrebten Preiserhöhungen herangezogen.
Auch wenn 3,5 Mio. Tonnen auf den ersten Blick nach einer hohen Zahl klingt, muss diese Menge richtig eingeordnet werden. Dafür ist es wichtig, dass nur ca. 75 bis 80% der Tonnage auf klassische Walzstahlerzeugnisse entfällt. Der Rest umfasst vor allem Stahlrohre, aber auch Halbzeuge und legierte Stähle. Zum zweiten ist der europäische Export in die USA nach der Verhängung der Zölle im Jahr 2018 keinesfalls komplett eingebrochen. Die Lieferungen beruhen vielfach auf etablierten Produktionsnetzwerken oder betreffen laufende Projekte und wurden daher oft fortgeführt – entweder unter Inkaufnahme der Zölle oder durch Ausnahmeregelungen zollbefreit. Zudem bietet der US-Markt gerade im Jahr 2021 erhebliche Preisvorteile, der schon in den vergangenen Monaten zu einem deutlichen Ausfuhranstieg geführt hat.
Der europäische Export wird im kommenden Jahr nicht von Null auf Hundert starten, sondern geht von einem bereits beachtlichen Ausgangsniveau aus. Nach annualisierten Exportzahlen erreichen die Walzstahl-Exporte in die USA in diesem Jahr bereits gut 2/3 des Volumens der Jahre 2015 bis 2017, wobei die Lücke zwischen den aktuellen und den „historischen“ Liefermengen bei Flachprodukten kleiner ist als bei Langprodukten. Bei einigen Erzeugnissen wie zum Beispiel bei Weißblech liegen die aktuellen Mengen sogar schon über dem Referenzniveau. Auf Basis der aktuellen Liefermengen ergibt sich zur Exportsteigerung in die USA rechnerisch ein Potenzial von ca. 500.000 Tonnen bei Langprodukten und von gut 600.000 Tonnen bei Flachprodukten. Dies sind ca. 0,6% der EU-Walzstahlerzeugung.
Schaut man die US-Importe aus Deutschland an, so lagen die mit Stand September annualisierten Mengen des Jahres 2021 um ca. 370.000 Tonnen unter der ab dem kommenden Jahr zollfrei importierbaren Menge. Davon entfallen 153.000 Tonnen auf Flachprodukte, 107.000 Tonnen auf Langprodukte und 98.000 Tonnen auf Rohre. Bezogen auf den Abstand zu früher erreichten Exportmengen besteht bei Rohren, auf die vor Inkrafttreten der US-Zölle ein beträchtlicher Teil der deutschen Exporte entfiel, eindeutig das größte Potenzial, während die Flachstahlexporte bereits ca. ¾ des Ausgangsniveaus erreicht haben.
Zwar ist nicht feststellbar, welcher Teil der aktuellen Lieferungen derzeit mit Zöllen belegt ist und somit direkt von der Neuregelung profitiert. Dennoch legen die Zahlen den Schluss nahe, dass kein allzu großer Mengeneffekt auf den hiesigen Markt zu erwarten ist.
Aufgrund der quartalsweisen Zuteilung der zollfreien Mengen müssen die Lieferungen gleichmäßig über das Jahr verteilt werden. Ein sehr starker Anstieg zum Jahresbeginn 2022 ist daher ausgeschlossen. Wie sich die EU-Exporte in die USA im späteren Jahresverlauf entwickeln werden, ist kaum vorherzusehen. Dies hängt nicht nur davon ab, in welchem Maße neue Kundenkreise erschlossen werden können. Auch ist zum Beispiel offen, wie lange am US-Markt noch deutlich höhere Preise als im Rest der Welt erzielt werden können und wie sich die Nachfrage in der amerikanischen Automobilindustrie vor dem Hintergrund des Halbleitermangels entwickeln wird.
Nicht nur auf die USA schauen
Auch wenn die USA zweifellos ein sehr wichtiger Exportmarkt für europäische Hersteller sind, ist es ohnehin nicht sinnvoll, die Ausfuhren in diesen Markt isoliert zu betrachten. Für die Versorgungswirkungen am EU-Markt ist vielmehr der gesamte Handel mit Drittstaaten, also das Saldo aus Importen und Exporten, relevant. Und hier zeigen die Zahlen ein Bild, in dem potenziell steigende Exporte in die USA nur noch zu einer Randnotiz werden: Zwischen 2017 und 2021 hat sich die Stahlhandelsbilanz der EU netto um mehr als 10 Mio. Tonnen verschlechtert, wovon alleine 6,5 Mio. Tonnen auf Flachprodukte entfallen.
Das neue Abkommen wird zwar dem ein oder anderen EU-Hersteller zu höheren Gewinnen verhelfen, die Lage am europäischen Stahlmarkt aber nicht grundlegend ändern.
© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.