Im zu Ende gehenden Jahr 2019 hat der überraschend heftige Nachfrageeinbruch das Geschehen am deutschen Stahlmarkt geprägt. Entsprechend sind am Spotmarkt die Preise quer durch die Erzeugnisse deutlich gefallen. Der Ausblick auf das kommende Jahr zeigt, dass auf der Nachfrageseite nicht unbedingt eine schnelle Wende zu erwarten ist. Dennoch dürfte der Markt zu einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage finden. Sowohl die Rohstoffkosten als auch die Stahlpreise werden voraussichtlich im Jahresmittel niedriger als 2019 liegen. Statt einem klaren Preistrend sind eher unterjährige Zyklen von kurzer Dauer zu erwarten. Abseits der reinen Marktentwicklung sind alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette Stahl gut beraten, sich rechtzeitig mit den unternehmerischen und politischen Konsequenzen der extrem ehrgeizigen De-Carbonisierungsziele der EU zu beschäftigen.
Stahlmarkt Consult Blog
Im Oktober hat der Weltstahlverband worldsteel seine neue Prognose für die globale Stahlnachfrage vorgelegt. Die Zahlen zeigen: in kaum einem anderen Land entwickelt sich die Stahlnachfrage in diesem Jahr so schlecht wie in Deutschland. Unter den zehn wichtigsten Ländern verzeichnet nur die Türkei ein noch größeres Minus. Dagegen wird der chinesische Markt in diesem Jahr erneut über den Erwartungen liegen und den Weltverbrauch nach oben ziehen. Die Aussichten für 2020 sind von zahlreichen Unsicherheiten geprägt und bleiben insgesamt trübe.
Demonstrationen, Brandbriefe, TV-Beiträge, Leitartikel – die deutsche Stahlindustrie schreibt derzeit viele Schlagzeilen. Das Wort von der „Stahlkrise“ macht die Runde. Einträchtig machen Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter externe Ursachen für die Probleme verantwortlich: Überkapazitäten, unfairer Wettbewerb und Klimaschutz-Lasten werden in den Vordergrund gerückt. Forderungen nach zusätzlichem Schutz und nach milliardenschwerer Staatshilfe werden laut. Diese Stimmen sind kritisch zu hinterfragen, denn manche Behauptungen gehen an der Realität vorbei. Die aktuellen Probleme sind im Kern das Ergebnis marktwirtschaftlicher Prozesse. Etwas anders sieht es bei den Folgen der politisch gewollten Dekarbonisierung aus, die gerade erst sichtbar werden.
Die europäischen Stahlerzeuger wollen mit Produktionsrücknahmen den Boden für wieder höhere Preise bereiten und hoffen für das Schlussquartal des Jahres auf eine anziehende Nachfrage. Auch wenn sich die Angebots-Nachfrage-Balance tatsächlich verbessern dürfte, werden höhere Preise wohl zum wiederholten Male in diesem Jahr nicht durchzusetzen sein. Verantwortlich dafür sind vor allem internationale Einflüsse. Denn sowohl Rohstoffnotierungen als auch Weltmarktpreise haben in den vergangenen Wochen deutlich nachgegeben.
Mit einem Anteil von circa 7 Prozent an den weltweiten CO2 Emissionen steht die Stahlindustrie inmitten der Klimaschutz-Diskussion. In jüngster Zeit sind die Rufe der EU-Hersteller nach einem Klimaschutz-Zoll auf Stahlimporte lauter geworden. Damit sollen Lasten aus der europäischen Klimapolitik ausgeglichen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Stahlindustrie gestärkt werden. Das Ansinnen ist zwar im Grundsatz nachvollziehbar, wirft aber viele Fragen auf. Stahlverarbeitende Unternehmen haben allen Grund, hellhörig zu sein. Denn am Ende könnten sie die Dummen sein.
Am deutschen Stahlmarkt treffen weiterhin gegenläufige Faktoren aufeinander: auf der einen Seite steht eine ausgeprägt schwache Nachfrage, auf der anderen Seite sind die Rohstoffkosten der Hochofenroute deutlich angestiegen. Im ersten Halbjahr hat die Nachfrageseite die Oberhand behalten und alle anderen Einflüsse übertrumpft. Entsprechend sind die Spotmarktpreise verbreitet gesunken. Der Ausblick auf das zweite Halbjahr ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt. Können die zuletzt angekündigten Produktionsrücknahmen das Blatt wenden?
Für die künftige Struktur des EU-Stahlmarktes hat es zuletzt zwei wichtige Entwicklungen gegeben. Die Absage des Joint-Ventures zwischen Tata Steel Europe und ThyssenKrupp Steel sorgte für viele Schlagzeilen. Aus welchen Gründen auch immer: die Unternehmen haben letztlich nicht genug dafür getan, die berechtigen Wettbewerbsbedenken der EU-Kommission zu zerstreuen. Diese hatte kurz zuvor, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, den Erwerb einzelner Standorte des Marktführers ArcelorMittal durch die Liberty House Group endgültig genehmigt. Damit betritt ein völlig neuer Player mit einer international ausgerichteten Zukunftsvision den europäischen Flachstahlmarkt. Dort nimmt die Anbieterzahl zu, anstatt dass die Konsolidierung voranschreitet. Aus Kundensicht ist es zu begrüßen, dass so der Wettbewerb erhalten bleibt.
Der seit Herbst 2018 am deutschen Spotmarkt zu beobachtende Preisrückgang bei Flachstahl ist zwar im Februar 2019 zunächst einmal zum Stillstand gekommen. Die seitdem herstellerseitig verschiedentlich unternommenen Versuche, die Preise wieder anzuheben, bleiben bisher aber ohne schlagenden Erfolg. Zwar gibt es durchaus einige Argumente für höhere Preise. Diese werden aber überlagert von der anhaltenden schwachen Stahlnachfrage aus der Automobilindustrie, die gerade bei Blechen stark zu spüren ist. Eine schnelle Besserung ist derzeit nicht in Sicht.
Der Dammbruch in einer brasilianischen Eisenerz-Mine des Vale-Konzerns sorgt seit Ende Januar für Schlagzeilen. Zuallererst ist dabei an die vielen Opfer und die damit verbundenen menschlichen Tragödien zu denken. Zu Recht steht der offenbar laxe Umgang des Konzerns mit Sicherheitsvorschriften und Warnungen in der Kritik. An zweiter Stelle ist zu fragen, was das Unglück für den weltweiten Eisenerzmarkt und für die Erzpreise bedeutet. Die direkten Auswirkungen könnten sich zwar in Grenzen halten. Dennoch müssen Stahlmarktakteure das Thema, nicht zuletzt wegen der möglichen indirekten Folgen, auf ihrer Agenda haben.
Über weite Strecken des Jahres 2018 konnten die globalen Stahlpreise das zuvor erreichte hohe Niveau halten. Erst im Schlussquartal war eine klare Abschwächung zu beobachten. Hält der Abschwung im neuen Jahr an oder wird es zu einer Gegenbewegung kommen? Nachdem nun die Ausgestaltung der im Februar in Kraft tretenden, endgültigen „Schutzmaßnahmen“ der EU bekannt ist, wird der Ausblick ins neue Jahr klarer. Die safeguards bringen zwar planwirtschaftliche Züge in den EU-Stahlmarkt, sind aber kein „worst case“ für Stahlverarbeiter. Am Weltmarkt wird der Wettbewerb intensiver als in den Vorjahren ausfallen. Entsprechend werden die Preise in der Tendenz unter Druck stehen. Am EU-Stahlmarkt wird sich die Nachfragedynamik der Vorjahre nicht fortsetzen. Im Ergebnis besteht für die Stahlpreise im Jahr 2019 mehr Abwärts- als Aufwärtspotenzial, auch wenn Schwankungen in beide Richtungen möglich bleiben.