Stahlmarkt Consult Blog
Stahlmarkt: Neue Lage durch gedrosselte Erzeugung?
Am deutschen Stahlmarkt treffen weiterhin gegenläufige Faktoren aufeinander: auf der einen Seite steht eine ausgeprägt schwache Nachfrage, auf der anderen Seite sind die Rohstoffkosten der Hochofenroute deutlich angestiegen. Im ersten Halbjahr hat die Nachfrageseite die Oberhand behalten und alle anderen Einflüsse übertrumpft. Entsprechend sind die Spotmarktpreise verbreitet gesunken. Der Ausblick auf das zweite Halbjahr ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt. Können die zuletzt angekündigten Produktionsrücknahmen das Blatt wenden?
Automobilindustrie im Zentrum schwacher Stahlnachfrage
Deutlich ausgeprägter und hartnäckiger, als es am Jahresanfang zu erwarten war, blieb der deutsche Stahlmarkt im ersten Halbjahr im festen Griff einer schwachen Nachfrage. Selbst im sonst regelmäßig starken zweiten Quartal war in diesem Jahr keine Belebung zu beobachten. Im Zentrum des durchaus dramatischen Nachfragerückgangs steht die Automobilindustrie. Die PKW-Inlandsproduktion lag bis Mai um zehn Prozent niedriger als im Vorjahr. Politische Unsicherheiten wie die weltweiten Handelskonflikte, die drohenden US-Zölle auf Autoeinfuhren aus der EU und das Brexit-Drama belasten auch die übrigen Stahlabnehmerbranchen mehr oder weniger stark. Eine Ausnahme ist die Bauwirtschaft, die sich weiter robust zeigt. Insgesamt sind die Auftragseingänge der deutschen Stahlhersteller bis April um stattliche 12,5% gefallen. Im April erreichten die Bestellungen aus dem Inland den bisher tiefsten Stand des Jahres und verzeichneten ein Minus von mehr 18% gegenüber dem Vorjahr.
Für eine Wende zum Besseren gibt es zwar schwache Indizien, sie ist aktuell nicht wirklich in Sicht. Im Mai war zwar zum ersten Mal seit sechs Monaten ein Plus der PKW-Produktion gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Dieses fiel aber mit zwei Prozent schwach aus und war zudem durch die höhere Zahl an Arbeitstagen beeinflusst. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat seine Prognose vom Jahresanfang, nach der die PKW-Inlandsproduktion in diesem Jahr um 5% sinken soll, bisher nicht nach unten korrigiert. Wenn dies noch erreicht werden soll, müsste die Erzeugung in den kommenden Monaten anziehen. Auf der anderen Seite schweben über der Branche weiter zahlreiche Unsicherheiten und die jüngst gemeldeten Absatzzahlen der deutschen Hersteller sind eher schwächer als besser geworden. Verschiedene Konjunkturindikatoren der Industrie zeigen sich ebenfalls eher schwächer, wobei vor allem der Export Sorgen macht.
Ein starker Belastungsfaktor für die Stahlnachfrage im ersten Halbjahr waren die hohen Lagerbestände in den verschiedenen Stufen der Supply Chain. Dieser Effekt dürfte im zweiten Halbjahr schwächer werden, da die Bestände gegenüber dem Jahresanfang reduziert worden sind. Zudem hat sich der Markt nun insgesamt besser auf das geänderte Umfeld eingestellt. Damit ist insgesamt eine leichte Nachfragebelebung im zweiten Halbjahr möglich, aber keinesfalls sicher. Unsicherheit ist Gift für die Stahlnachfrage und es liegt vor allem an den weltweiten politischen Akteuren, wie lange sie noch andauern wird.
Höhere Rohstoffkosten drücken Gewinne vieler Stahlhersteller
Weltweit war in den vergangenen Wochen zu beobachten, dass die Stahlpreise trotz deutlich höherer Erzeugungskosten gefallen sind. Dies trifft vor allem auf die hochofenbasierte Stahlherstellung zu, die unter den stark gestiegenen Preisen für Eisenerz leidet. Hintergrund ist die vor allem durch den Dammbruch im Januar entstandene Knappheit auf der Angebotsseite. Der Referenz-Preis für Eisenerz hat im Juni zeitweise die Marke von 110,- $/t überschritten und damit ein Fünf-Jahres-Hoch erreicht. Dieses Preisniveau übertrifft deutlich die bereits nach oben revidierten Prognosen der Analysten. Wie lange es sich halten kann, ist vollkommen unklar.
Die Kombination aus niedrigeren Preisen und höheren Kosten hat dazu geführt, dass im StahlmarktConsult-Kostenmodell der Abstand der Flachstahlpreise zu den Rohstoffkosten der Hochofenroute seit September 2018 rasant gefallen ist. In nur wenigen Monaten ging es von einem 10-Jahres-Hoch auf ein Niveau noch unterhalb des langjährigen Mittels. Dies spricht dafür, dass die Luft für weitere Preisrückgänge nun dünn wird, jedenfalls solange die Rohstoffpreise nicht wieder fallen.
Bei baunahen Langprodukten, die schrottbasiert in Elektroöfen dargestellt werden, sieht die Situation anders aus: die Stahlnachfrage hat sich vergleichsweise besser gehalten, während die internationalen Schrottpreise weitgehend stabil und zuletzt sogar rückläufig waren.
Wenden Produktionskürzungen das Blatt?
Als Reaktion auf die schwache Nachfrage hat Marktführer ArcelorMittal angekündigt, die Erzeugung an verschiedenen europäischen Standorten zu drosseln. Davon sind auch Werke in Deutschland betroffen. US-Hersteller US Steel hat zuletzt angekündigt, einen Hochofen in der Slowakei herunterzufahren. Weitere Hersteller dürften sich mit ähnlichen Schritten beschäftigen. Ob diese Maßnahmen wieder für eine Balance zwischen Angebot und Nachfrage sorgen werden und, wie angekündigt, den Weg zu höheren Preisen ebnen, muss abgewartet werden.
Zweifel sind jedoch angebracht. Zum einen sind die in den öffentlichen Raum gestellten Reduktionsmengen oft auf ein Jahr hochgerechnet und erscheinen daher größer, als sie tatsächlich sind. Zudem handelt es sich teilweise nicht um echte Kürzungen, sondern im Falle der italienischen Werke von ArcelorMittal lediglich um eine gebremste Produktionsausweitung. Zum zweiten ist die Stahlerzeugung im bisherigen Jahresverlauf weit weniger als die Nachfrage gefallen und hat somit einen gewissen Nachholbedarf. So beziffert der Weltstahlverband für die ersten vier Monate den Rückgang der Rohstahlproduktion für die EU auf nur 2,1% und für Deutschland auf 4,9%. Auch die recht hohen Importmengen können einen Strich durch die Rechnung machen. Vor allem aber zeigt die Erfahrung, dass eine Überangebotsphase am Stahlmarkt sehr selten alleine mit angebotsseitigen Maßnahmen erfolgreich beseitigt werden kann.
Unter dem Strich dürften sich die Stahlpreise kurzfristig zunächst insgesamt stabilisieren. Voraussetzung für spürbar höhere Preise wäre eine bessere Nachfragesituation, die im weiteren Jahresverlauf möglich, aber nicht sicher ist. Bei den über die Hochofenroute hergestellten Stahlerzeugnissen scheint umgekehrt ein weiteres spürbares Absinken des Preisniveaus nach aktuellem Stand nur möglich, wenn sich die Rohstoffkosten wieder nach unten bewegen würden. Insgesamt bleibt der Ausblick auf die zweite Jahreshälfte mit außerordentlich vielen Unsicherheiten behaftet.