Stahlmarkt Consult Blog
Wie die US-Zollpolitik den EU-Stahlmarkt trifft
Die aggressive und unberechenbare Zollpolitik der USA trifft den EU-Stahlmarkt hart. Sollte die jüngste Verdopplung der Stahl-Importzölle auf 50% bestehen bleiben, dürften Lieferungen aus der EU spürbar stärker leiden als bisher. Dagegen scheinen Warnungen vor einer Flut von Handelsumlenkungen aus anderen Lieferländern auf den EU-Markt übertrieben. Mindestens genauso schwer wie die Stahlzölle wiegen die Zölle außerhalb des Stahlbereichs, die die Aussichten für die Stahlnachfrage in der EU erheblich dämpfen. Insgesamt ist die US-Zollpolitik ein wesentlicher Faktor dafür, dass der Preistrend am EU-Flachstahlmarkt gekippt ist.
Stahlzölle: 50%-Zollsatz macht einen Unterschied
Die am 12. März in Kraft getretenen Zölle in Höhe von 25% auf die Einfuhr ausnahmslos aller Stahlerzeugnisse haben technisch gesehen die bereits 2018 eingeführten Zölle wieder in Reinform installiert. Alle zwischenzeitlich geltenden Ausnahmen wie Zollfreikontingente für einzelne Länder, von denen seit 2022 auch die EU profitiert hatte, wurden abgeschafft. Individuelle Ausnahmegenehmigungen werden nicht mehr neu erteilt. Zu den betroffenen Stahlerzeugnissen zählt nicht nur Walzstahl in allen Qualitäten, sondern auch Rohre, Halbzeuge und bestimmte Erzeugnisse aus Stahl. Bei diesen wurde die Liste erweitert, so dass Stahlverarbeiter stärker als 2018 direkt von den Zöllen getroffen werden.
Aus der EU wurden im Vorjahr 3,9 Mio. Tonnen der von den Stahlzöllen betroffenen „steel mill products“ in die USA geliefert. Darunter waren 1,6 Mio. Tonnen Flachprodukte, was einem Anteil von ca. 2,5% der EU-Erzeugung entspricht. Neben Rohren wurden 0,9 Mio. Tonnen Langprodukte und 0,4 Mio. Tonnen Rostfrei-Erzeugnisse geliefert. Aus Deutschland wurden 2024 ca. 975.000 Tonnen der betroffenen Produkte in die USA geliefert. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf Flachprodukte. Auch wenn die USA außerhalb der EU das wichtigste Empfängerland von deutschen Stahlexporten sind, entfällt auf das Land nur ein Exportanteil von weniger als 4% (ohne Stahlrohre). Denn die deutschen Ausfuhren gehen zum mit Abstand größten Teil in die EU.
Auch wenn das bei einzelnen Unternehmen oder Erzeugnissen anders aussehen kann, ist also in der Gesamtschau nur ein kleiner Teil der EU-Produktion von den Zöllen betroffen. Gleichwohl können in der aktuell angespannten wirtschaftlichen Lage auch leichte Absatzrückgänge empfindliche Konsequenzen haben. Bei dem bisherigen Importzoll von 25% dürften viele Lieferungen weiter stattgefunden haben. Denn die Spotmarktpreise für Flachprodukte schossen nach der Verkündung der Zölle, die von der US-Stahlindustrie lautstark unterstützt wurden, steil nach oben. Für Warmbreitband in Grundgüten haben die US-Preise im April die Marke von
1.000,- $/t überschritten und lagen damit um mehr als 30% über den entsprechenden EU-Preisen. Selbst bei Inkaufnahme von Zöllen konnten die EU-Lieferungen bei solchen Relationen also noch preislich attraktiv sein. Dazu kommt, dass die benötigten Qualitäten in den USA selbst nicht immer beschafft werden können.
Mit der nun im Juni verkündeten Verdopplung der Stahlzölle auf 50% dürfte sich das Bild ändern. Denn ein solcher Zollsatz wird nicht mehr durch die aktuellen Preisunterschiede aufgefangen, zumal die US-Preise in den vergangenen Wochen wieder gefallen sind. Die Verdopplung des Zollsatzes dürfte die EU-Stahlexporte in die USA daher empfindlich treffen. Sollte es bei dem hohen Zoll bleiben, dürften weitgehend nur noch Mengen geliefert werden, die in den USA nicht zu vergleichbarer Qualität beschafft werden können.
Drohende Handelsumlenkungen als Nebelkerze
Während mit den absehbar fallenden US-Exporten durchaus ein direkter konkreter Schaden für die hiesige Stahlindustrie erkennbar ist, gilt das weniger für indirekte Wirkungen in Form von Handelsumlenkungen. Dabei wird unterstellt, dass die in den USA nicht mehr absetzbaren Exporte nun in die EU umgelenkt würden und hier den Markt überfluten. Entsprechende Szenarien wurden schon bei der ersten Einführung der US-Zölle gezeichnet und erwiesen sich als weit übertrieben. Im Jahr 2025 sind Handelsumlenkungen in großem Stil noch weniger realistisch, da der EU-Markt bereits durch die gerade noch einmal verschärften „Schutzmaßnahmen“ vor einer „Importflut“ geschützt ist. Vor allem die zollfreien Lieferungen asiatischer Herkunft sind begrenzt worden
Die US-Importe lagen 2024 insgesamt bei 26,2 Mio. Tonnen, wovon ungefähr die Hälfte aus Kanada, Brasilien und Mexiko kamen. Dass Stahl aus diesen Ländern nun massenhaft nach Europa dirigiert wird, ist nicht zu erwarten. Zudem wird oft außer Acht gelassen, dass Schiffe nicht einfach „umgelenkt“ werden. Sondern es muss immer noch ein Käufer gefunden werden, was einen entsprechenden Bedarf im Empfängerland voraussetzt. Angesichts der schwachen Nachfrage in der EU und den CBAM-Pflichten für Importe dürfte sich das Interesse der EU-Importeure in Grenzen halten.
Die Behauptung, mit den US-Zöllen sei ein massiver zusätzlicher Importdruck für den EU-Stahlmarkt verbunden, ist weniger sachlich begründet als im politischen Kontext zu sehen. Gesucht werden Gründe für eine weitere Abschottung des EU-Marktes für die Zeit nach 2026, wenn die jetzigen Schutzmaßnahmen auslaufen werden.
Autozölle und Unsicherheit dämpfen Aussichten für EU-Stahlnachfrage
Paradoxerweise sind für den EU-Stahlmarkt wohl die US-Zölle außerhalb des Stahlbereichs am wichtigsten. Dies gilt zuvorderst für die seit dem 3. April geltenden Zölle von 25% Zoll auf importierte Autos, die seit dem 3. Mai auch auf Autoteile erhoben werden. Alleine aus Deutschland wurden im Jahr 2024 ca. 450.000 Fahrzeuge und damit 2/3 der EU-Exporte in die USA geliefert. Zwar werden die einzelnen Autohersteller unterschiedlich stark von den Zöllen getroffen, insgesamt könnte es aber zu spürbaren Rückgängen beim US-Export und bei der deutschen Produktion kommen. Im 1. Quartal war die deutsche PKW-Produktion noch um 5% gestiegen. Viele stahlintensive Zulieferunternehmen sind von Stahl- oder Automobilzöllen betroffen, was die Exportmöglichkeiten in die EU stark belastet. Die Erwartung vom Jahresanfang, dass das Automotivesegment in diesem Jahr die stärksten Impulse für die EU-Stahlnachfrage liefern wird, muss unter den gegebenen Umständen mit einem großen Fragezeichen versehen werden.
Hinzu kommen die allgemeinen „reziproken“ Zölle, die mit dem ständigen Hin und Her den globalen Handel und damit die exportorientierte Industrie empfindlich treffen. Für viele stahlverarbeitende Unternehmen waren die USA nach der Abschwächung in China noch der letzte verbliebene „gute“ Exportmarkt. Dieses Ventil ist nun massiv in Frage gestellt.
Die Nachfrageaussichten am EU-Stahlmarkt haben sich vor allem bei Flachprodukten deutlich eingetrübt, weil diese von der Zollthematik am stärksten betroffen sind. Die Unsicherheit der Marktteilnehmer ist gestiegen. Die US-Zollpolitik ist ein wichtiger Grund dafür, dass am EU-Spotmarkt der Anstieg der Flachstahlpreise im April zum Erliegen gekommen ist und dass seit Mai sogar ein Abbröckeln beobachtet werden kann. Die Preisentwicklung im weiteren Jahresverlauf wird wesentlich davon abhängen, welchen Fortgang der Zollkonflikt nehmen wird.
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