Stahlmarkt Consult Blog
Unterstützt die CBAM-Scharfschaltung höhere Stahlpreise in der EU?
Nach einer zweijährigen Testphase wird der Europäische CO2-Grenzausgleich CBAM ab 2026 voll implementiert und damit kostenwirksam. Die immer noch ausstehende Veröffentlichung wichtiger Parameter durch die EU-Kommission macht betroffenen Unternehmen allerdings eine verlässliche Planung unmöglich. Auch Mengen- und Preiswirkungen des CBAM auf Importe aus Drittländern sind schwer einzuschätzen. Zudem wirken weitere Einflüsse auf die Stahlpreise ein. Es ist daher nicht sicher, ob die zum Jahreswechsel anstehende CBAM- „Scharfschaltung“ schon kurzfristig preiserhöhend wirken wird.
CBAM: EU-Bürokratie lässt Marktakteure im Regen stehen
Viele Industrieunternehmen beginnen bereits mit der Planung für 2026 und Importeure von CBAM-Waren denken über Bestellungen nach, die womöglich erst nach dem Jahreswechsel in der EU ankommen werden. Sie beschäftigen sich mit der Frage, welche Kosten ihnen durch CBAM ab dem kommenden Jahr entstehen werden und wie sie mit dem neuen Kostenfaktor gegenüber ihren Kunden umgehen. Leider sind die individuell anfallenden CBAM-Kosten wenige Monate vor der Scharfschaltung immer noch nicht kalkulierbar. Von der EU-Kommission festzusetzende Parameter liegen nicht vor und es wird kein konkreter Termin für die Veröffentlichung genannt.
Der erste Parameter für die beim Import von CBAM-Waren anfallenden Kosten sind die spezifischen CO2-Emissionen des importierten Erzeugnisses. Unternehmen, die von ihren Lieferanten während der Einführungsphase entsprechende Daten bekommen haben, verfügen über einen ersten Eindruck darüber, wo die Emissionen liegen. Die Frage ist hier, ob die in manchen Fällen offenbar „hemdsärmelig“ gemeldeten Daten der ab 2026 nötigen Verifizierung Stand halten und ob aus Änderungen an den EU-Vorgaben zur Berechnung der Emissionen größere Änderungen an den Emissionswerten resultieren.
Allerdings hat ca. die Hälfte der CBAM-Anmelder von ihren Lieferanten bisher die benötigten Informationen trotz intensiver Bemühungen nicht bekommen. Ab 2026 soll es zwar allen EU-Importeuren erlaubt sein, statt tatsächlicher Werte der Lieferanten auch länderspezifische Standardwerte zu verwenden. Diese werden aber nicht mit den globalen Standardwerten aus der CBAM-Startphase übereinstimmen und wahrscheinlich hoch angesetzt werden. Genaueres weiß man nicht, denn die ab 2026 gültigen Standardwerte liegen noch nicht vor.
Der zweite Parameter für die Berechnung der Kosten sind die „CBAM-Benchmarkwerte“. Denn nur die Differenz aus anfallenden Emissionen und den CBAM-Benchmarkwerten, multipliziert mit einem „CBAM-Faktor“, geht in die Kostenrechnung ein. Leider lässt auch die Bekanntgabe der CBAM-Benchmarkwerte auf sich warten. Der EU-Kommission dämmert es, dass die sachgerechte Ermittlung dieser Daten nicht einfach ist und nicht ohne Weiteres aus dem bestehenden Emissionshandelssystem der EU (EU-ETS) abgeleitet werden kann.
Der „CBAM-Faktor“ ist die einzige bereits feststehende Größe der CBAM-Kostenkalkulation. Er liegt für 2026 bei 97,5% und wird bis 2034 auf 0% fallen. Dies entspricht dem Grundprinzip des EU-ETS. Dort müssen Unternehmen, deren Emissionen auf Benchmarkniveau liegen, im Jahr 2026 nur für 2,5% der Emissionen CO2-Zertifikate zukaufen. Je weiter die eigenen Emissionen über den Benchmarkwerten liegen, desto mehr Zertifikate müssen zugekauft werden. Allerdings ist im EU-ETS die Produktionsmenge der einbezogenen Anlagen ein weiterer wichtiger Faktor für die Freizuteilung und es unklar, inwieweit dieser auch bei der CBAM-Berechnung berücksichtigt wird.
Zur Ermittlung der CBAM-Kosten müssen die nach obigen Parametern ermittelten Emissionen mit dem Preis für ein CBAM-Zertifikat multipliziert werden. Dieser wird aus dem EU-ETS-Zertifikatepreis abgeleitet und steht naturgemäß für die Zukunft noch nicht fest. Aktuell liegt der Preis bei ca. 70,-- € pro Emissionszertifikat und ein deutlicher Anstieg in den kommenden Jahren ist prognostiziert.
Insgesamt stehen entscheidende Parameter der individuellen CBAM-Kostenrechnung noch nicht fest. Es ist äußerst fragwürdig, dass trotz der erheblichen und offenkundigen Verzögerungen dennoch am Zeitplan für die CBAM-Bepreisung festgehalten wird.
Auch mit „Omnibus“ bleibt viel Unsicherheit
Das politisch beschlossene, aber noch nicht amtlich verkündete „Omnibus“-Paket zur Vereinfachung des äußerst komplexen CBAM-Verfahrens beantwortet also lange nicht alle Fragen, die sich die ca. 20.000 aktuell von CBAM betroffenen EU-Unternehmen stellen. Gerade mit Blick auf den Umgang mit den entstehenden Kosten entstehen sogar neue Fragen. So können CBAM-Zertifikate für 2026 erst in 2027 erworben werden. Wie die dann in 2027 für das Vorjahr in noch unbestimmter Höhe entstehenden Kosten in einer Kostenkalkulation für 2026 untergebracht werden sollen, bleibt der Fantasie der Marktteilnehmer überlassen. Auch wie sich die zu berücksichtigenden Emissionen zum Beispiel bei Waren aus Stahl durch die Herausrechnung der Emissionen aus nachgelagerten Produktionsprozessen oder der indirekten Emissionen ändern werden, steht noch nicht fest.
Ob mit der Einführung eines De-minimis-Schwellenwerts von 50 Tonnen pro Kalenderjahr tatsächlich 90% der Importeure aus CBAM herausfallen werden, bleibt abzuwarten. Und Entscheidungen über eine mögliche Erweiterung der von CBAM erfassten Produkte und eine Kompensation auf der Exportseite stehen ebenso noch aus.
Für Unternehmen, die CBAM-Waren wie Stahl und bestimmte Stahlwaren importieren, gibt es derzeit nur wenige Gewissheiten. Dazu gehört, dass Lieferanten mit höheren Emissionen höhere CBAM-Kosten verursachen als Lieferanten mit niedrigen Emissionen. Die Verwendung der absehbar hoch angesetzten Standardwerte wird in vielen Fällen zu höheren Kosten führen. Und während in 2026 nur ein eher kleiner Teil der Emissionen der CBAM-Bepreisung unterliegt, wird der Prozentsatz in den Folgejahren immer größer. Zusammen mit dem erwarteten Anstieg der Zertifikatepreise wird CBAM damit genau wie das EU-ETS in den kommenden Jahren zu einem echten Kostentreiber.
CBAM schon kurzfristig ein Unterstützungsfaktor für Stahlpreise?
Derzeit ist häufig das Argument zu hören, die beginnende CBAM-Bepreisung werde nach der Sommerpause einen Stahlpreisanstieg in der EU begünstigen.
Dahinter steht die Überlegung, dass wegen der unklaren CBAM-Kosten das Interesse an Drittlandimporten umso mehr sinken wird, je näher der Jahreswechsel rückt. Dies ist bei Liefer- und Frachtzeiten von mehreren Monaten bei Importen aus Asien nicht von der Hand zu weisen. Der große bürokratische Aufwand und die Unsicherheit über die mit Einfuhren aus Drittländern verbundenen CBAM-Kosten dürften einige Importeure abschrecken. Andererseits sind die CBAM-Kosten nur ein kleiner Teil der Gesamtbetrachtung, die sich aus den internationalen Preisunterschieden, Wechselkursen, der Nachfrage in der EU und weiteren Importzöllen bzw. Mengenbegrenzungen der EU zusammensetzt. Gerade in den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass auch hohe Importzölle der EU durch günstige Wechselkurse und große Preisvorteile von Drittlandanbietern wenigstens teilweise kompensiert werden können. Zudem könnten kurzfristig Importe auch über den tatsächlichen Bedarf hinaus geordert werden, um den erwarteten CBAM-Kosten zuvorzukommen. Inwieweit durch CBAM ein Teil der Nachfrage von Importen auf EU-Werke umgelenkt wird, ist daher schwer vorherzusagen.
Der zunehmend protektionistische Kurs der EU, die gerade an einer Nachfolgelösung für die „Schutzmaßnahmen“ gegen Stahleinfuhren arbeitet, dürfte in Verbindung mit CBAM zu tendenziell geringeren Importen führen. Wie schnell und in welchem Ausmaß das am Markt spürbar wird, ist kaum vorherzusagen.
Die zweite Überlegung ist, dass die antizipierten CBAM-Kosten generell zu einem höheren Preisniveau bei Importen, geringerem Importwettbewerb und damit einem Preiserhöhungsspielraum für die EU-Werke führen könnten. Daran ist richtig, dass CBAM in Verbindung mit der Reform des EU-ETS der Einstieg in eine spürbare CO2-Bepreisung ist. Dies wird strukturell zu höheren Kosten führen, was nicht ohne Wirkung auf die Preise bleiben wird. Dies gilt allerdings nicht nur für Importe, sondern auch für Stahl aus der EU. In beiden Fällen wird es je nach CO2-Intensität der Erzeugung Gewinner und Verlierer geben. Entgegen einer häufigen Vermutung ist es nicht so, dass Importe grundsätzlich mit einem höheren CO2-Fußabdruck als EU-Produkte behaftet sind. Viele Drittlandhersteller stellen sich gezielt auf CBAM ein und schneiden nicht unbedingt schlechter ab als EU-Hersteller. Deren relative Kostenposition wird sich entsprechend durch CBAM zwar in manchen, aber nicht in allen Fällen verbessern. Inwieweit höhere CO2-Kosten grundsätzlich auf die Kunden überwälzt werden können, hängt von der jeweiligen Marktverfassung ab.
Dass CBAM unter dem Strich, wie von Teilen des Marktes erwartet, schon kurzfristig zu einem Unterstützungsfaktor für die EU-Stahlpreise wird, ist alles andere als ausgemacht. Eine belastbare Ermittlung der in 2026 anfallenden CBAM-Kosten ist heute nicht möglich. Schätzungen zu den jeweils anfallenden CBAM-Kosten sind spekulativ, gehen weit auseinander und scheinen teilweise überhöht, da die Bepreisung anfangs nur einen kleinen Teil der CO2-Emissionen betrifft. Die Preiswirkungen von CBAM dürften kurzfristig eher begrenzt bleiben und von anderen Markteinflüssen wie der schwachen Nachfrage und niedrigen Rohstoffkosten überlagert werden. Für Unternehmen ist es dennoch wichtig, sich auf den anstehenden Paradigmenwechsel vorzubereiten.
© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.