Der am 7. Oktober präsentierte Vorschlag der EU-Kommission für eine drastische Reduzierung der Drittlandimporte ab 2026 ist das Top-Thema am Stahlmarkt. Während Stahlhersteller Beifall spenden, sind viele Stahlverarbeiter geschockt. Die unterschiedlichen Reaktionen sind nachvollziehbar, denn bei einer vollständigen Umsetzung würden die Karten am Stahlmarkt neu gemischt. Die dafür vorgetragenen Gründe können nicht überzeugen. Die massive Beschneidung der Importmöglichkeiten ist nicht ausgewogen und birgt für Stahlverbraucher in der EU enorme Risiken. Der Vorschlag ist nicht ausgewogen und muss geändert werden.
Stahlmarkt Consult Blog
Nach einer zweijährigen Testphase wird der Europäische CO2-Grenzausgleich CBAM ab 2026 voll implementiert und damit kostenwirksam. Die immer noch ausstehende Veröffentlichung wichtiger Parameter durch die EU-Kommission macht betroffenen Unternehmen allerdings eine verlässliche Planung unmöglich. Auch Mengen- und Preiswirkungen des CBAM auf Importe aus Drittländern sind schwer einzuschätzen. Zudem wirken weitere Einflüsse auf die Stahlpreise ein. Es ist daher nicht sicher, ob die zum Jahreswechsel anstehende CBAM- „Scharfschaltung“ schon kurzfristig preiserhöhend wirken wird.
Die aggressive und unberechenbare Zollpolitik der USA trifft den EU-Stahlmarkt hart. Sollte die jüngste Verdopplung der Stahl-Importzölle auf 50% bestehen bleiben, dürften Lieferungen aus der EU spürbar stärker leiden als bisher. Dagegen scheinen Warnungen vor einer Flut von Handelsumlenkungen aus anderen Lieferländern auf den EU-Markt übertrieben. Mindestens genauso schwer wie die Stahlzölle wiegen die Zölle außerhalb des Stahlbereichs, die die Aussichten für die Stahlnachfrage in der EU erheblich dämpfen. Insgesamt ist die US-Zollpolitik ein wesentlicher Faktor dafür, dass der Preistrend am EU-Flachstahlmarkt gekippt ist.
Zur Abwehr von Handelsumlenkungen sind im Jahr 2018 die „Schutzmaßnahmen“ der EU gegen Stahlimporte als vorübergehende Maßnahme eingeführt worden. Sieben Jahre später regelt die neueste Überarbeitung genau, welches Land bei welchem Erzeugnis welche Menge ohne Zusatzzoll liefern darf. Es geht um knallharten Wettbewerbsschutz, im Visier stehen attraktive Anbieter aus Asien. Leidtragende sind Importeure und Verbraucher in der EU. Denn die EU öffnet die Tür für höhere Preise.
Zahlreiche Krisenmeldungen aus der Stahlindustrie verdecken ein wenig, dass es für die Branche auch einige Lichtblicke gibt. So ist die deutsche Erzeugung im vergangenen Jahr gestiegen und schlägt sich auch im Mehrjahresvergleich besser als die Abnehmerbranchen. Der Stahlverbrauch hat im Jahr 2024 nicht ganz so schlecht abgeschnitten wie noch im Herbst befürchtet. Und die deutsche Außenhandelsbilanz steht so gut da wie lange nicht mehr. Die Lage der deutschen Stahlindustrie ist nicht so schlecht, wie sie in der öffentlichen Krisenkommunikation oft gemacht wird. Nötig sind nicht weitere einseitige Schutzmaßnahmen zu Lasten der Verbraucher, sondern bessere Standortbedingungen für die ganze Breite der Industrie.