Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Dekarbonisierung mit grünem Wasserstoff: Eine riskante Wette

Der Weg über die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff ist nicht die einzige Möglichkeit zur Dekarbonisierung der Stahlerzeugung, dominiert aber die Diskussion insbesondere in Deutschland. Die heute mit Hochöfen arbeitenden Stahlhersteller beginnen mit der Umsetzung entsprechender Konzepte. Doch Einzelheiten der im Juli freigegebenen staatlichen Mittel für ThyssenKrupp Steel und die kürzlich veröffentlichte Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung werfen Fragen auf. Wann und zu welchen Kosten grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird, ist offen. Nicht (nahezu) CO2-freier, sondern in unterschiedlichem Maße CO2-reduzierter Stahl wird die Hochlaufphase prägen.   

Wann ist Stahl „grün“?

Stähle, die tatsächlich grün im Sinne von (nahezu) CO2-frei sind, gibt es heute noch nicht. Stattdessen werden alle möglichen Varianten mehr oder weniger CO2-reduzierter Stähle als grün vermarktet. Eine gängige Definition fehlt leider immer noch. Ob sich aktuelle Versuche durchsetzen werden, je nach Erzeugungsroute und Stand der Technik auch Stahl mit noch relativ hohem CO2-Gehalt als „grün“ zu klassifizieren, bleibt abzuwarten.

Stahlabnehmer vor allem in konsumgüternahen Bereichen setzen sich zunehmend ehrgeizige Ziele zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks in der eigenen Lieferkette. Eine deutliche CO2-Reduktion bei den eingesetzten Stählen spielt dabei oft eine große Rolle.

Wirklich grün ist Stahl mit einem CO2-Fußabdruck nahe Null. Dies ist nach aktuellem Stand entweder durch schrottbasierte Elektrostahlwerken möglich, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden, oder durch mit grünem Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlagen, die das Vormaterial für nachgeschaltete Stahlwerke liefern. Mit beiden Lösungen werden die Emissionen der Stahlerzeugung sehr stark reduziert und der letztliche CO2-Fußabdruck hängt weitgehend noch von den Vorprodukten wie Legierungen und von den Emissionen der anschließenden Walz- und Wärmebehandlungsstufen ab.

Wasserstoffbasierte Stahlerzeugung: in weiter Ferne oder ganz nah?

In den vergangenen Monaten haben mehrere Stahlhersteller konkrete Investitionsentscheidungen für den Bau von Direktreduktionsanlagen bekannt gegeben. Die Erwartung, dass mit der ab 2025/2026 geplanten Inbetriebnahme dieser Anlagen unmittelbar auch nahezu emissionsfreier Stahl hergestellt wird, ist aber ein Trugschluss. Denn die Direktreduktionsanlagen sind so ausgelegt, dass sie zunächst auch mit Erdgas betrieben werden können. Nach den vorliegenden Informationen soll dies wohl auch geschehen, und zwar solange, bis grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Wann dies der Fall sein wird, ist aber offen. Dies gilt weitgehend auch für die zu erwartenden Kosten. Diese hängen stark von den Strompreisen ab, bei denen Deutschland bekanntermaßen nicht gut aufgestellt ist.

Im Juli hat die EU-Kommission eine staatliche Beihilfe an ArcelorMittal Frankreich in Höhe von 850 Mio. € bewilligt. Damit wird u.a. der Bau einer Direktreduktionsanlage in Dünkirchen unterstützt, die zunächst mit Erdgas betrieben und dann schrittweise umgestellt werden soll. Auch die mit öffentlichen Mitteln in Höhe von 1 Mrd. € geförderte Salzgitter AG plant die Umstellung der Hochöfen auf die anfangs erdgas- und später wasserstoffbasierte Direktreduktion, wie es auf der Homepage heißt. Die beauftragte Direktreduktionsanlage kann laut Mitteilung des Unternehmens vom 24.05.2023 „flexibel mit Wasserstoff und Erdgas in beliebigen Mischungsverhältnissen betrieben werden“.

Aufhorchen lässt die Pressemitteilung der EU-Kommission vom 20. Juli 2023, mit der die Genehmigung von staatlichen Beihilfen Deutschlands in Höhe von 2 Mrd. € an ThyssenKrupp Steel Europe bekannt gegeben wurde. Die Beihilfen setzen sich danach zusammen aus einem Direktzuschuss von bis zu 550 Mio. € zum Bau einer Direktreduktionsanlage und zweier Einschmelzer in Duisburg, die einen bestehenden Hochofen ersetzen und im Jahr 2026 in Betrieb genommen werden sollen. Weiter heißt es: „Anfangs soll zwar noch Erdgas für den Betrieb der neuen Direktreduktionsanlage verwendet werden, doch soll das Gas dann bis 2037 vollständig durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt werden.“  Beim zweiten und wesentlich größeren Teil der Beilhilfen handelt es sich um einen „an Bedingungen geknüpften Zahlungsmechanismus zur Unterstützung des rascheren Übergangs zu erneuerbarem Wasserstoff in der Stahlproduktion“. Dieser soll „in den ersten zehn Jahren des Betriebs der neuen Direktreduktionsanlage die Mehrkosten decken, die für die Beschaffung und Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff anstelle von CO2-armem Wasserstoff anfallen.“

Auffällig ist die sowohl der lange Zeitraum bis zur vollständigen Umstellung auf grünen Wasserstoff als auch die Tatsache, dass die Beteiligten annehmen, über einen Zeitraum von zehn Jahre die Mehrkosten für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien nicht aus eigener Kraft tragen zu können.

Deutsche Wasserstoff-Strategie: der Import soll es richten

Fragen wirft auch die kürzlich veröffentlichte Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategieder Bundesregierung auf. Diese scheint in Teilen dem in der Klimapolitik beliebten Muster zu folgen, ambitionierte Ziele zu setzen, ohne klar anzugeben, mit welchen Mitteln diese erreicht werden können. Für das Jahr 2030 wird nun von einem Gesamtwasserstoffbedarf von 95 bis 130 TWh ausgegangen. Davon sollen rund 50 bis 70 Prozent durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Der Importanteil werde in den Jahren nach 2030 weiter ansteigen, heißt es. Denn: „Eine bedarfsdeckende inländische Versorgung wäre zudem weder wirtschaftlich sinnvoll noch den energiewendebedingten Transformationsprozessen insgesamt dienlich.“

Zentrales Instrument soll daher eine Importstrategie sein, die noch gar fertig ist, sondern erst im späteren Jahresverlauf veröffentlicht werden soll. Festgelegt ist aber schon: „Bei Importen aus Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit wird Deutschland maximale Synergien mit einer lokalen sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation und Energiewende sowie den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) sicherstellen.“ Ob damit im globalen Wettbewerb die angestrebte große Zahl an internationalen Partnerländern gewonnen werden kann, bleibt abzuwarten.

Wie grün der Wasserstoff anfangs tatsächlich sein wird, ist ebenfalls nicht klar. Um einen schnellen Hochlauf des Wasserstoffmarktes sicherzustellen und die erwarteten Bedarfe zu decken, will die Bundesregierung auch andere Farben von Wasserstoff zulassen. Genannt wird kohlenstoffarmer blauer Wasserstoff (aus Erdgas in Verbindung mit CCS), türkiser (durch Methanpyrolyse erzeugt) und oranger (auf Basis von Abfall- und Reststoffen erzeugt) Wasserstoff, der auf der Anwendungsseite in begrenztem Umfang gefördert werden soll.

Was bedeutet dies für Stahlverarbeiter?

Stahlverarbeitende Unternehmen, die an Strategien zur Verbesserung des eigenen CO2-Fußabdrucks auf der „Scope 3“- Ebene arbeiten, oder von ihren Kunden zur Abgabe von zukunftsgerichteten Reduktionsverpflichtungen gedrängt werden, müssen eigenes Know-How zu der Thematik aufbauen. Hinter dem Begriff des „grünen“ Stahls versteckt sich ein Sammelsurium an Technologien, Interpretationen und leider auch an wenig belastbaren, eher dem Marketing dienlichen Versprechungen. Weder der Einsatz der Direktreduktion noch die Verwendung von Wasserstoff ist per se mit CO2-Freiheit gleichzusetzen. Der Teufel steckt im Detail.

Zum Beispiel führen erdgasbetriebene Direktreduktionsanlagen zwar bei der Stahlerzeugung schon zu einer deutlichen CO2-Reduktion um ca. 50%, sind aber vom Endziel der weitgehenden CO2-Freiheit noch weit entfernt. Bei der Direktreduktion mit grünem Wasserstoff wird eine erreichbare CO2-Reduktion um ca. 90 bis 95% angenommen.

In der Hochlaufphase ab 2025 werden CO2-reduzierte Stähle den Löwenanteil des „grünen“ Stahls ausmachen. Nahezu CO2-freier Stahl in größeren Mengen wird innerhalb der EU zunächst wahrscheinlich aus Schweden kommen. Am Standort Deutschland schon kurz- und mittelfristig auf grünen Wasserstoff zu setzen ist eine politisch motivierte, hochriskante Wette.

Entsprechend sollten eigene Minderungsziele nicht zu ambitioniert ausfallen und durch konkrete, belastbare Zusage der Lieferanten gedeckt sein. Die „harte Währung“ der Dekarbonisierung werden künftig mit einiger Wahrscheinlichkeit absolute CO2-Werte sein und der Nutzen CO2-reduzierter Stähle wird sich – neben der Verfügbarkeit - stark an den eingesparten CO2-Kosten bemessen. Denn diese werden ab 2028 in schnellen Schritten drastisch steigen.

Vorsicht sollte auch bei Festlegungen zu möglichen künftigen Preisaufschlägen für „grünen“ Stahl gelten. Nicht nur beim Ausmaß und dem Tempo der CO2-Reduktion, sondern auch bei den künftigen Herstellkosten von konventionellem und „grünem“ Stahl wird die Spanne zwischen einzelnen Herstellern im Vergleich zu heute erheblich größer werden. Auch die Höhe der öffentlichen Förderung bei dem Neubau und Betrieb von Erzeugungsanlagen fällt unterschiedlich aus. Die Vereinbarung von festen Aufpreisen für „grüne“ Stähle ohne gleichzeitiger Definition der Randbedingungen scheint daher nicht sachgerecht.

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.

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